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Der Zwergenkrieg

Der Zwergenkrieg

Titel: Der Zwergenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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willst du wissen? Was denkst du denn, wie es war?«
    Mütterchen verdrehte die Augen.
    »Lass uns raten«, meinte Löwenzahn trocken, und Geist piepste leise:
    »Glorreich, nicht wahr?«
    Zeit existierte nicht im Tunnel, jetzt nicht mehr, da die beiden Schreiber tot waren und ihre Sanduhren zerbrochen zwischen den Ruinen lagen. Es gab keinen Tag und keine Nacht, und schließlich wussten Grimma und Styrmir nicht einmal mehr eindeutig zu sagen, ob sie müde waren oder nicht. Sie schliefen dann, wenn ihre Füße sie nicht mehr weitertragen wollten, und sie aßen, wenn es ihnen gelang, in einem Wasserlauf einen blinden grauen Fisch zu fangen, der träge durch die Schwärze schwebte. Mitunter geschah das mehrmals in kurzen Abständen hintereinander, manchmal über lange Zeiträume überhaupt nicht. Aber waren die Zeiträume wirklich lang oder schienen sie ihnen nur so? Und spielten ihre Körper ihnen vielleicht nur hämische Streiche, wenn sie ihnen Schwäche signalisierten? Gab es überhaupt so etwas wie eine zeitliche Ordnung hier unten, wenn sie sich diese Ordnung nicht selbst erschufen, sei es durch Sanduhren oder das Zählen ihrer Schritte?
    Irgendwann verklangen die Laute ihrer Verfolger hinter ihnen. Waren seit dem Beginn ihrer Flucht Tage vergangen, Wochen oder gar ganze Monde? Gelegentlich, aber nur sehr selten, erkannten sie bestimmte Stellen wieder, die ihnen bereits auf dem Hinweg aufgefallen waren. Manchmal waren das so unbedeutende Dinge wie eine ungewöhnliche Felsformation oder eine schillernde Ader im Gestein, manchmal auch Bäche und Wasserlöcher, die sich in ihrem Weg auftaten. Meistens begannen sie dann miteinander zu streiten, denn es kam selten vor, dass sie gleicher Meinung waren über den Zeitpunkt, da sie diese Stelle auf dem Weg nach Norden passiert hatten. Styrmir mochte sagen: »Hier waren wir im dritten Mond«, während Grimma sogleich widersprach und erklärte: »Es war im fünften, da bin ich vollkommen sicher.«
    Doch trotz solcher Meinungsverschiedenheiten war Grimma froh, dass Styrmir an ihrer Seite war, und sie hörte ihm gerne zu, wenn er sich über die Berater des Königs und ihre hanebüchenen Ratschläge lustig machte. »Man wird dazu erzogen, Unsinn zu reden«, erklärte er ihr einmal. »Es geht nicht darum, was man sagt, sondern darum, dass man überhaupt etwas sagt und der König es zur Kenntnis nimmt. Für die meisten Berater gibt es nichts Wichtigeres als einen Seitenblick Thorhâls, ein anerkennendes Nicken, sogar ein Schulterzucken. Sie sind selbst dann überglücklich, wenn er ihre Meinung mit einem Kopfschütteln abtut – sie haben dann das Gefühl, sie hätten eine mögliche Fehlentscheidung abgewandt.« Er lachte bitter. »Alles nur eine Frage der Sichtweise, schätze ich.«
    Grimma lehrte ihn ihrerseits viel über das Kriegshandwerk. Dabei verschwieg sie nicht, dass auch sie das meiste davon nur aus den Erzählungen ihrer Ausbilder kannte. Vor dem Angriff der Nordlinge hatte es lange Zeit keinen offenen Kampf mehr im Hohlen Berg gegeben, und die Aufgaben der Krieger waren lediglich die einer Schutztruppe gewesen, die dafür sorgte, dass es keine Verbrechen oder gar Aufstände gab. »Aber so hatte sich keiner von uns seine Zukunft vorgestellt. Wir waren nicht Krieger geworden, um Taschendieben das Handwerk zu legen. Zumindest war es das, was wir uns Tag für Tag sagten, und hinter vorgehaltener Hand gab es viel Murren und Unzufriedenheit. Viele von uns waren froh, als die Nordlinge auftauchten. Endlich, so schien es, war die Zeit gekommen, unsere Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Wir waren Narren, fürchte ich. Wir haben nicht weiter gedacht als bis zum Ende der Äxte, die wir in unseren Händen hielten.« Sie schüttelte traurig den Kopf. »Bollis, Egil und all die anderen wissen es heute vielleicht besser.«
    »Und du selbst?«
    »Ich bin Heerführerin der Armee vom Hohlen Berg«, sagte sie steif, »und das werde ich bleiben, bis ich selbst der Klinge eines Feindes unterliege oder mich das Alter dahinrafft, mögen die Götter mich davor bewahren! Ich kann nichts anderes sein als das, was ich bin, und ich kann keine andere Meinung vertreten als die einer Kämpferin. Ich kann mich nicht selbst verraten.«
    »Aber du weißt, dass du Unrecht hast«, sagte Styrmir beharrlich. »Du weißt, dass dieser Krieg falsch war – auch wenn du nichts an ihm ändern konntest –, und du weißt, dass diese Mission ein Fehler war. Wie kannst du immer noch dazu stehen?«
    »Ich habe

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