Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass
einen Vertrag wie den nordatlantischen definiert wird) ein unpräzises Wir ist. Es ist eine Gemeinschaft, die sich zu einer Reihe von Werten bekennt.
Wenn man also beschließt, auf Basis der Werte einer Gemeinschaft zu intervenieren, schließt man gleichsam eine Wette ab: Wir wetten, daß unsere Werte und unser Sinn für die Grenze zwischen Tolerierbarem und Nichtto-lerierbarem die richtigen sind. Es handelt sich um eine Art von historischer Wette ganz ähnlich jener, die eine Revolution oder einen Tyrannenmord legitimiert: Wer sagt mir, daß ich im Recht bin, wenn ich Gewalt anwende (und manchmal was für eine), um wiederherzustellen, was ich für Gerechtigkeit halte? Nichts legitimiert eine Revolution in den Augen dessen, der gegen sie ist; wer sich auf sie einläßt, glaubt einfach oder wettet eben, daß er richtig handelt. Nicht anders geschieht es bei der Entscheidung für eine internationale Intervention.
Diese Lage ist es, die erklärt, warum uns alle in diesen Tagen ein solches Gefühl der Beklemmung erfaßt. Es gibt ein schreckliches Übel, dem man entgegentreten muß (die »ethnische Säuberung«). Ist ein bewaffneter Eingriff erlaubt? Muß man einen Krieg führen, um eine Ungerechtigkeit zu verhindern? Nach Maßgabe der Gerechtigkeit ja. Und nach Maßgabe der Güte und Menschlichkeit? Auch hier geht es um eine Wette: Wenn ich mit einer minimalen Gewalt eine ungeheure Ungerechtigkeit verhindern kann, dann habe ich gut und menschlich gehandelt, so wie der Polizist, der den mordwütigen Irren erschießt, um das Leben vieler Unschuldiger zu retten.
Aber die Wette ist eine doppelte. Einerseits wetten wir, daß wir uns in Übereinstimmung mit der allgemeinen Vernunft befinden und es sich bei dem, was wir unterdrücken wollen, um etwas allgemein Untolerierbares handelt (und Pech für den, der das nicht begreift und es weiterhin akzeptiert). Andererseits wetten wir, daß es der von uns gerechtfertigten Gewalt gelingen wird, einer viel größeren Gewalt zuvorzukommen.
Das sind zwei ganz verschiedene Probleme. Ich versuche hier einmal, das erste als gelöst zu betrachten; das ist es zwar nicht, aber man bedenke: was ich hier schreibe, ist keine Abhandlung über Ethik, sondern ein Zeitungsartikel, schamlos erpreßt von Forderungen nach Knappheit und Verständlichkeit. Anders ausgedrückt, das Problem ist so ernst und beklemmend, daß es nicht in Zeitungsartikeln abgehandelt werden kann und darf. Sagen wir also, daß es richtig ist, zur Gewalt zu greifen, um ein Verbrechen wie das der »ethnischen Säuberung« zu verhindern (dem andere Verbrechen und Greuel folgen, die unser Jahrhundert erlebt hat). Die zweite Frage ist jedoch, ob die Form der Gewalt, die wir ausüben, wirklich in der Lage ist, größere Gewalt zu verhindern. Hier stehen wir nicht mehr vor einem ethischen Problem, sondern vor einem technischen, das jedoch eine ethische Seite hat: Falls die Ungerechtigkeit, zu der ich mich entschließe, die größere Ungerechtigkeit nicht verhindern könnte, wäre es dann erlaubt, sie auszuüben?
Dies zu beantworten heißt, über die Frage der Nützlichkeit des Krieges zu sprechen, des traditionellen heißen Schießkrieges, dessen Ziel die Vernichtung des Feindes und der Sieg des Stärkeren ist. Zu sagen, daß der Krieg keinen Nutzen hat, ist schwierig, weil es so aussieht, als spräche man sich damit für die Ungerechtigkeit aus, die der Krieg zu beenden versucht. Aber das ist eine psychologische Erpressung. Wenn zum Beispiel jemand sagen würde, alle Übel Serbiens kämen von der Diktatur Milosevics und alles würde sich von selbst lösen, wenn es den westlichen Geheimdiensten gelänge, Milosevic zu töten, dann würde dieser Jemand den Krieg als untauglich zur Lösung des Kosovoproblems kritisieren, aber er wäre nicht für Milosevic. Einverstanden? Warum vertritt dann niemand diese Position? Aus zwei Gründen. Zum einen, weil die Geheimdienste der ganzen Welt per definitionem ineffizient sind, sie haben weder Castro noch Saddam umzubringen vermocht, und es ist eine Schande, daß man überhaupt noch daran denkt, öffentliche Gelder für sie auszugeben. Zum anderen, weil die Prämisse nicht stimmt: Was die Serben tun, ist nicht allein auf den Irrsinn einer Diktatur zurückzuführen, sondern speist sich aus tausendjährigen ethnischen Haßgefühlen, die sie mit anderen Völkern des Balkans teilen, was das Problem noch dramatischer macht.
Kehren wir also zur Frage der Nützlichkeit des Krieges zurück. Worin
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