Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass
bestand jahrhundertelang das Ziel dessen, was wir den Krieg nach alter Art nennen können? Es bestand darin, den Gegner so zu besiegen, daß man einen Vorteil aus seiner Niederlage ziehen konnte. Das setzte dreierlei voraus: erstens, daß dem Feind verborgen blieb, über welche Kräfte man verfügte und welche Absichten man verfolgte, so daß man ihn überraschen konnte; zweitens, daß es innerhalb des eigenen Lagers eine starke Solidarität gab, und drittens, daß man alle verfügbaren Kräfte ins Feld führen konnte, um den Feind zu vernichten. Deswegen wurden im Krieg alter Art (zu dem auch der Kalte Krieg gehörte) diejenigen hingerichtet, die aus dem eigenen Lager Informationen an den Feind gaben (Mata Hari wurde erschossen, die Rosenbergs kamen auf den elektri-sehen Stuhl), die feindliche Propaganda wurde behindert (wer als Hörer von Radio London erwischt wurde, kam ins KZ, McCarthy verfolgte die Pro-Kommunisten in Hollywood), und bestraft wurden Landsleute, die im Feindesland Propaganda gegen ihr eigenes Land machten (John
Amery hingerichtet, Ezra Pound lebenslänglich ins Irrenhaus eingesperrt), denn der Kampfgeist der Bürger durfte nicht geschwächt werden. Allen wurde unentwegt eingehämmert, daß der Feind besiegt werden müsse, und die Kriegsberichte jubelten, wenn sie berichten konnten, daß feindliche Kräfte vernichtet worden waren.
Diese Bedingungen sind schon beim ersten Krieg der neuen Art, dem Golfkrieg, in die Krise geraten, aber damals wurde die Sache noch auf die Dummheit der farbigen Völker geschoben, die amerikanische Journalisten in Bagdad duldeten, vielleicht aus Eitelkeit oder aus Bestechlichkeit. Heute gibt es keine Mißverständnisse mehr, Italien schickt Bomber nach Serbien, hält aber diplomatische Beziehungen zu Jugoslawien aufrecht, die Fernsehsender der Nato-Staaten melden den Serben Stunde für Stunde, welche Nato-Flugzeuge gerade in Aviano aufsteigen, serbische Agenten vertreten die Logik ihrer Regierung in unserem Staatsfernsehen, italienische Journalisten senden ihre Berichte aus Belgrad mit Unterstützung der lokalen Behörden. Ist das noch Krieg, wenn man den Feind im Hause hat, der Propaganda für die Seinen macht? Im Krieg neuer Art hat jeder Kriegführende den Feind im eigenen Hinterland, und da die Medien ständig dem Gegner das Wort erteilen, demoralisieren sie die Bürger (während Clausewitz betonte, daß die Bedingung des Sieges der moralische Zusammenhalt aller Kombattanten ist).
Im übrigen würden, auch wenn die Medien zum Schweigen gebracht worden wären, die neuen Kommunikationstechniken einen unaufhaltsamen Informationsfluß gewährleisten - und ich weiß nicht, wie Milosevic es schaffen soll, auch nur die Rundfunksendungen aus den feindlichen Ländern zu blockieren, ganz zu schweigen vom Internet.
All dies scheint nun einem schönen Artikel von Furio Colombo zu widersprechen, der am 19. April in der Re-pubblica die These vertrat, McLuhans globales Dorf sei am 13. April 1999 gestorben, als in einer Welt der Medien, der Mobil- und Satellitentelefone, der Spione im Weltraum und so weiter, man von einem primitiven Feldtelefon eines Angestellten einer internationalen Presseagentur abhängig war und nicht zu klären vermochte, ob tatsächlich serbische Truppen in albanisches Gebiet eingedrungen waren. »Wir wissen nichts über die Serben. Die Serben wissen nichts über uns. Die Albaner können nicht über das Meer von Köpfen sehen, das sie umgibt. Mazedonien verwechselt die Flüchtlinge mit Feinden und knüppelt sie nieder.« Also wie nun, ist das ein Krieg, in dem jeder alles über die anderen weiß oder in dem niemand etwas kapiert? Beides zugleich.
Die Lage im Innern ist transparent, während die Außengrenzen undurchsichtig sind. Milosevics Agenten sprechen im italienischen Fernsehen, während an der Front, dort, wo die Generäle einst mit dem Feldstecher auf die andere Seite spähten, niemand etwas Genaues weiß.
Warum das so ist? Wenn der Krieg alten Schlages das Ziel hatte, möglichst viele Feinde zu vernichten, scheint es für den Krieg neuen Schlages typisch zu sein, daß man bemüht ist, möglichst wenige Feinde zu töten, da man sich sonst den Unmut der Medien zuziehen würde. Im Krieg neuen Schlages ist man nicht darauf bedacht, den Feind zu vernichten, denn die Medien machen uns sensibel für seinen Tod; der Tod ist nicht mehr ein fernes unbestimmtes Ereignis, sondern eine unerträgliche visuelle Evidenz. Im Krieg neuen Schlages bewegt sich jede
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