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Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass

Titel: Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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sozialistischen Abgeordneten Giacomo Matteotti am 10. Juni 1924 gab das Startsignal zur Errichtung der unumschränkten Diktatur Mussolinis; Achille Starace war 1931-39 Generalsekretär der Faschistischen Partei, und »Faccetta nera« war eine bekannte faschistische Hymne (A. d. Ü.).
Wozu sich ums Fernsehen prügeln?
    Die Debatte kommt immer wieder auf, aber in diesen Wochen wird sie besonders heftig geführt. Thema: die politische Rolle des Fernsehens, ob man durch Besetzung des Bildschirms einen entscheidenden Einfluß auf die öffentliche Meinung gewinnt. Es liegt auf der Hand, daß die Diskussion immer dann auflebt, wenn die Verteilung der Claims in Frage gestellt wird: Jemand läuft Gefahr, Kanäle zu verlieren, für die er teuer bezahlt hat, andere besetzen erobertes Terrain. In der Annahme, daß das eigentlich Interessante nicht die taktische, sondern die strategische Macht ist, die das Fernsehen verleihen kann (die Fundierung eines starken und dauerhaften Konsenses), wollen wir einmal versuchen, ein Gedankenexperiment zu machen. Ein Historiker des Jahres 3000 könnte (anhand von Büchern, Zeitungen, Videoaufzeichnungen, Polizeiberichten, Gerichtsurteilen etc.) zu folgenden Schlüssen kommen.
    In den fünfziger Jahren und einem Großteil der sechziger wurde das italienische Fernsehen von der Democrazia cristiana beherrscht. In Sachen Moral war es darauf bedacht, keine verwirrenden Nuditäten zu zeigen, es kultivierte eine atlantische und konservative Sicht der nationalen und internationalen Politik, es strahlte häufig Gottesdienste und erbauliche Sendungen aus, es zeigte Fernsehhelden mit kurzen Haaren, Krawatten und guten Manieren. Außerdem achtete es darauf, nicht allzuviel von der Resistenza zu sprechen, um sich keine Feinde auf der Rechten zu machen. Alle zwischen 1945 und 1950 geborenen Italiener sind mit diesem Fernsehen aufgewachsen. Ergebnis: dieses Fernsehen hat die Generation der Achtundsechziger erzeugt - lange Haare, sexuelle Freizügigkeit, Kämpfe für Scheidung und Abtreibung, Haß auf das System, Antiklerikalismus, die Resistenza als Ideal, aktuell wiederzufinden in Bolivien oder in Vietnam.
    Dann kam nach und nach das parteipolitisch aufgeteilte Fernsehen: Im Bereich der Sitten und Bräuche gelangte es Schritt für Schritt dazu, nackte Busen zu zeigen (und spätabends auch geheimere Körperteile), es gab sich vorurteilslos, sarkastisch, streitsüchtig, respektlos gegenüber den Institutionen. Und auf dieser Grundlage produzierte es eine Generation, die sich wieder auf religiöse Werte besinnt und vorsichtig mit der Sexualität umgeht. Im Umgang mit der Geschichte hat es etwa ab Mitte der sechziger Jahre die Resistenza zum Gründungsmythos der Republik erhoben und so oft wie möglich von ihr gesprochen - und dadurch eine Generation geschaffen, die nichts von Antifaschismus hören will und eher geneigt ist (zum Glück noch nicht in dramatischen Proportionen), auf die Sirenen des Revisionismus zu hören, wenn sie sich nicht an Rassismus und Antisemitismus ergötzt.
    Auf der politischen Ebene predigte dieses Fernsehen, auch wenn es sich in drei Kanäle aufteilte, die ideologisch unterschiedlich sein wollten, den Respekt für eine politische Klasse, die sich auf dem Bildschirm zeigte, so oft sie konnte, und durch diese Dauerpräsenz ihres Bildes sowohl ihre Macht wie auch ihre (vermeintliche) Popularität immer neu bestärkte. Ergebnis? Ein Teil der Bürger rebellierte autonom gegen diese politische Klasse, indem sie den Separatismus der Lega Nord unterstützte, alle anderen zögerten nicht, kaum daß sich ein Riß im Gefüge auftat, die Staatsanwälte und Richter als ihre Rächer zu begrüßen, und begannen, faule Eier (nicht nur metaphorisch) auf jene Politiker zu werfen, die sie aus dem Fernsehen kannten, sobald sie ihnen auf der Straße begegneten.
    Unser Historiker des Jahres 3000 könnte sogar den übereilten Schluß ziehen, das christdemokratische Fernsehen habe das größte je dagewesene Wachstum einer Kommunistischen Partei in Westeuropa erzeugt, und der schrittweise Zugang der Kommunisten zur Kontrolle der Fernsehkanäle habe den Niedergang ihrer Partei verursacht.
    Sollte unser Historiker in einer Epoche starker und barbarischer Religiosität leben, so würde er aus alledem schließen, das Fernsehen müsse das Reich des Bösen gewesen sein, ein wildes Ungeheuer, das jeden verschlang, der es zu erobern und zu reiten versuchte, oder einfacher, dieses Medium habe jedem, der auf seinen

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