Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass
indem er seine Ursachen und seine Auswirkungen auf spätere Ereignisse identifiziert und es schließlich eben »historisch« bewertet. Es ist eine Sache, zu wissen, daß jemand während der Französischen Revolution jemand anderen, dem er Geld schuldete, denunziert und unter die Guillotine gebracht hat, und es ist eine andere, den »Sinn« der Französischen Revolution historisch zu bewerten.
Mir scheint, daß die alle Jahre wieder ausbrechenden Polemiken gegen die Resistenza die Vergangenheit so behandeln, wie der Journalismus die Gegenwart behandelt, die sich nur stückweise und in Einzelereignissen aufzeigen läßt - es sei denn, das Einzelereignis wird stillschweigend zum Exempel erkoren und das Urteil über dieses Exempel wird unerlaubter-, aber fatalerweise zum Urteil über eine Epoche, eine Gruppe oder eine Gesellschaft.
Ich weiß, wir haben Sommer, und da muß man auf Teufel komm raus irgendwas erfinden, um gelesen zu werden. Aber jener düstere, große, schreckliche und nicht wegzudiskutierende Moment, den Italien nach dem September 1943 durchgemacht hat, verdiente doch, von einer höheren Warte und mit einem verantwortlicheren Pietätsgefühl betrachtet zu werden.
1993
Meine Schulaufsätze über den Duce
Thema: »Warum vergeßt ihr in euren Nachtgebeten den König, den Duce und das Vaterland nicht?« Ausführung: »In meinen Gebeten nenne ich den Duce ... weil immer Er es ist, der den ersten Spatenstich tut ... Er hat den Marsch auf Rom angeführt und die Umstürzler aus Italien vertrieben, Er hat das Land mächtig, gefürchtet, schön und groß gemacht.« Von wem stammen diese Sätze, die für den ersten Durchgang der Agonali della Cultura, der landesweiten Kulturwettkämpfe des Jahres XVIII der Faschistischen Ära geschrieben wurden?
Und von wem stammen diese weiteren Sätze, die in den regionalen Ludi Juveniles des Jahres XX (1942) prämiert worden sind? »Da rückt auf der staubigen Straße eine Kolonne von Kindern vor. Es sind die Ballila 1 , die stolz und frohgemut in der milden Sonne des aufbrechenden Frühlings marschieren, diszipliniert und gehorsam gegenüber den trockenen Kommandos ihres Offiziers ... Es sind Jungen, die mit zwanzig die Feder mit dem Karabiner vertauschen werden, um Italien gegen die feindlichen Anschläge zu verteidigen. Jene Ballila, die man samstags durch die Straßen ziehen sieht ... werden im rechten Alter zu treuen, unkorrumpierbaren Wächtern Italiens und seiner neuen Kultur . Wer stellt sich beim Anblick dieser Jungen vor, daß sie vielleicht in wenigen Jahren auf dem Schlachtfeld sterben können, mit dem Namen Italiens auf den Lippen? Immer war mein Gedanke: Wenn ich einmal groß bin, werde ich Soldat . Ich werde kämpfen, und wenn Italien es will, werde ich sterben für seine neue, heroische, heilige Kultur ... Und mit der belebenden Erinnerung an die vergangenen Ruhmestaten, mit den Ergebnissen der gegenwärtigen und mit der Hoffnung auf die zukünftigen, vollbracht von den Ballila, die heute noch Kinder und morgen Soldaten sind, geht Italien weiter seinen glorreichen Gang der geflügelten Siegesgöttin entgegen ...«
Nun erwartet jeder die maliziöse Enthüllung: Der Autor dieser Zeilen ist der Schwarze Ritter. Falsch. Der Autor dieser Zeilen bin ich, im Alter von acht beziehungsweise zehn Jahren.
Tatsächlich habe ich noch in Erinnerung, wie ich mich beim Schreiben fragte, ob man mir wohl glauben würde. Ich erinnere mich, daß ich mir die Frage vorlegte: »Aber liebe ich den Duce wahrhaftig? Wieso erwähne ich ihn dann nicht wirklich in meinen Gebeten? Bin ich vielleicht ein verlogenes und gefühlloses Kind?« Trotzdem habe ich diese Aufsätze geschrieben, und nicht aus Zynismus, sondern weil Kinder von Natur aus kleine Luder sind. Sie machen Lausbübereien, aber sie übernehmen die hehren Prinzipien, die ihnen die Umwelt eintrichtert, und bekennen sich zu ihnen.
Man war damals stolz auf die Uniform aus demselben Grund, aus dem man heute den Markenrucksack begehrt: um wie die anderen zu sein, um geachtet und bewundert zu werden. Ich war nicht zynisch damals, eher bin ich es heute, wenn ich denke, daß viele Kinder, die einen schönen Schulaufsatz über die Respektierung ihrer schwarzen Brüder und Schwestern schreiben, dies nur tun, weil sie glauben, dadurch gesellschaftliche Anerkennung zu finden. Gewiß, ich bin nicht so zynisch zu glauben, daß sie morgen alle Rassisten sein werden, und ich erkenne durchaus den Unterschied zwischen einem sozialen Druck,
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