Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass
ein zerstrittenes Ehepaar, über dessen elendes Gezänk jemand Scherze gemacht hätte, gegen die Verleumder Klage erhoben im Namen der traditionellen Maxime, daß schmutzige Wäsche in der Familie gewaschen wird. Aber wenn heute das Ehepaar selber nicht nur akzeptiert, sondern geradezu danach verlangt, seine triste Lage öffentlich ausstellen zu können, wer hat dann noch das Recht zu moralisieren?
Dies ist der wunderbare Paradigmenwechsel, dessen Zeuge wir sind. Es verschwindet die Figur des Komikers, der sich über den wehrlosen Behinderten lustig macht, und dafür steigt der Behinderte selbst auf die Bühne, stolz, seine Behinderung zeigen zu dürfen. Alle sind zufrieden: der Ärmste, der sich zur Schau stellt, der Sender, der eine Show produziert hat, ohne die Akteure bezahlen zu müssen, und wir, die wir endlich wieder über die Dummheit anderer lachen können, indem wir unseren Sadismus befriedigen.
Unsere Bildschirme wimmeln inzwischen von Analphabeten, die stolz auf den Gebrauch falscher Verbformen sind, von Homosexuellen, die ihresgleichen mit »alte Tunte« anreden, von betörenden Rasseweibern, die ihre verblühte Lüsternheit zur Schau stellen, von Sängern, die keinen Ton treffen, von Blaustrümpfen, die über »palingene-tische Obliteration des menschlichen Unterbewußtseins« reden, von zufriedenen Gehörnten, verrückten Wissenschaftlern, unverstandenen Genies, Autoren auf eigene Kosten, von denen, die Ohrfeigen geben und denen, die sie erhalten, glücklich, daß am nächsten Morgen der Tabakhändler an der Ecke darüber spricht. Wenn der Dorftrottel sich mit Vergnügen zur Schau stellt, können wir ohne Gewissensbisse über ihn lachen.
1995
Wer waren diese Kelten?
Das Beunruhigendste an unserem aktuellen Sezessionismus ist nicht die kulturelle Grobheit von Bossi (man trifft auf viel unkultiviertere Leute, ohne seinen unbestreitbaren Einfallsreichtum), sondern die Tatsache, daß viele, gerade in den wirtschaftlich blühendsten Teilen des Landes, seine Theorien übernehmen, ohne zu merken, daß sie in krassem Widerspruch zu dem stehen, was sie in der Schule gelernt haben sollten.
Grobheit für Grobheit, auf der Basis vager Erinnerungen: Die Kelten (die wir in der Schule als Gallier kennengelernt haben), sind in den Norden unserer Halbinsel eingewandert, aber im Westen kamen sie nur bis zum Po, denn schon in Alessandria widersetzten sich die Ligurer, ein barbarisches Volk, unkolonisierbar wie kein zweites, und im Osten blieb Venezien außen vor, denn dort saßen die Illyrer. Im Südosten erreichten die Kelten den berühmten Rubikon (der sich knapp nördlich von Rimini befindet, man muß nur auf die Hinweisschilder an der Autobahn achten), und im Südwesten gab es nach den Ligurern gleich die Etrusker, die sich die Toskana und einen Teil von Latium genommen hatten und nach Norden auch ins keltische Gebiet eindrangen.
Von den Marken abwärts lebten die italischen Völker (aber andere Illyrer gab es auch in Apulien), und an den Küsten des tiefen Südens lag Großgriechenland, wo in puncto multikultureller Vermischung so gut wie alles geschehen sein muß. Jedenfalls wären Parmenides von Ge-
* Umberto Bossi, Chef der separatistischen Lega Nord (A. d. Ü.).
burt und Pythagoras als Zugewanderter beide vollberechtigte italienische Bürger gewesen, was kein Schade ist. Gewissensfrage: Fühlen Sie sich lieber als Mitbürger von Pythagoras oder von Bossi?
Wäre also die Position der Sezessionisten im strengen Sinn ethnisch (und hätte sich nicht in der Zwischenzeit auch auf keltischem Gebiet, infolge des Durchzugs der Römer und dann diverser »Barbaren«, ein ethnisches Mischmasch gebildet, wie es schöner nicht sein kann), dann müßte ein wirklich »keltischer« Staat schon das obere Monferrat auslassen (soll heißen, den weiter unten liegenden Teil), er müßte auf ganz Ligurien und das Veneto verzichten und könnte sich höchstens noch die Emilia nehmen. Und wäre die Unterscheidung eine rein geographische (nur die Poebene), dann müßte das Ganze neu eingeteilt werden, womöglich indem man im Osten bis Comacchio geht und schon den Apennin bei Modena ausläßt.
In jedem Fall aber würde man nicht verstehen, wieso der neue Staat Padanien die Toskana, die Marken und Umbrien mit umfassen soll. Sieht man von den Etruskern ab, die sich inzwischen mit ein paar Chromosomen da- und dorthin verstreut haben, sind dies italische Regionen. Infolgedessen würde Padanien zu einem guten Teil aus Völkerschaften
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