Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass
Schmährede gegen die Juden aus.
Yavetz hob hervor, daß Rutilius wirklich schlecht behandelt und betrogen worden sei, er habe allen Grund gehabt, sich zu beklagen, und habe zu einem damals gängigen rassistischen Stereotyp gegriffen, aber das hätte er auch getan, wenn der Wirt nicht Jude, sondern Sarde oder Grieche gewesen wäre; daher sei es nicht richtig, ihm Antisemitismus vorzuwerfen, wie es einige israelische Historiker täten. Es habe sich nur um eine »natürliche« Unduldsamkeit gegenüber dem Andersartigen gehandelt.
Yavetz ist Jude und konnte sich daher diese Absolution des Rutilius erlauben. Ich habe die Stelle wiedergelesen (De reditu suo, I, 381-398 - jawohl, diesmal ist das Verb »wiederlesen« keine lügnerische Koketterie, ich hatte diesen Text 1951 fürs Abitur vorbereitet), und ehrlich gesagt, Rutilius hat sich da etwas mehr als bloß einen Wutausbruch geleistet. Wenn jemand heute so etwas schriebe, schlüge der Oberrabbiner von Rom einen Krach, der gar nicht mehr aufhören würde, und er hätte einigen Grund dazu. Aber lassen wir Rutilius auf sich beruhen. Yavetz sprach von der fast biologischen Neigung, stets eine Sphäre der »unseren« gegen die aller »anderen« abzugrenzen. Die anderen brauchen gar nicht Zigeuner oder senegalesische Einwanderer zu sein, es genügt, daß sie ein paar Dutzend Kilometer von unserem Geburtsort entfernt geboren sind. Ich klage oft Schul- und Jugendfreunde als verdammte Astianer, Cuneeser oder Genueser an, weil sie nicht das Glück hatten, in Alessandria geboren zu sein. Aber wenn ich auf der Autobahn fahre, mit meinem in Mailand zugelassenen Wagen, und ein anderer Wagen mit Mailänder Nummer überholt mich rüpelhaft, dann sage ich nicht: »Ha, dieser Rüpel aus Mailand!« Hat der andere aber eine Nummer aus Alessandria, dann kann es mir schon passieren, daß ich »Ha, dieser Rüpel aus Alessandria!« sage. Ich fühle mich eben in solchen Fällen in meiner Eigenschaft als Autofahrer zur Gemeinschaft derjenigen mit Mailänder Nummer gehörig, und alle anderen, einschließlich der Bürger meiner Geburtsstadt, werden zu »anderen«.
Wir alle fühlen uns je nach den Umständen zu einer Sphäre gehörig (zu den Büchernarren, zu den 1932 Geborenen, zu den Okarinaspielern, zu den Leuten mit Schuhgröße 42), und aus dem je besonderen Blickwinkel empfinden wir die anderen als andersartig (die Bücherhasser, die Tattergreise oder die Grünschnäbel, die Gitarristen, die Großfüßler). Toleranz entsteht, wenn wir uns zivilisierterweise bewußtmachen, daß Gitarristen auch Menschen sind und daß es auch Gitarristen gibt, die Schuhgröße 42 haben und womöglich aus unserer Gegend stammen oder Django Reinhardt heißen.
Das schleichende Gift, das Bossis Predigt in unserem Lande verbreitet, besteht genau im Verwechseln des Zugehörigkeitsgefühls mit einer Aufforderung zur Intoleranz. Es besteht darin, daß man, um ihn zu widerlegen, gezwungen wird zu behaupten, es gebe keine Unterschiede zwischen einem Palermitaner und einem Turiner, während es doch sehr viele gibt; es besteht darin, daß wir gezwungen werden, unserem natürlichen und gesunden Stolz auf die ethnische Zugehörigkeit zu mißtrauen, um uns nicht als Rassisten zu fühlen; es besteht darin, daß wir rhetorisch dazu gedrängt werden, Italien als ein ethnisch homogenes Land zu definieren, was es nicht ist und niemals war seit der Zeit des Aeneas; es besteht darin, daß wir genötigt werden, jeder Affirmation der Andersartigkeit zu mißtrauen, wenn die Andersartigkeit (das Miteinander der Verschiedenheiten) schön ist und prächtige Früchte zeitigt.
So wirft uns Bossi in einer Zeit, in der das Multikulturelle gefeiert wird (manchmal auch zu sehr), weit hinter Ruti-lius Namatianus zurück (der wenigstens, lieber Bossi, ein hochzivilisierter Gallier wie ich war und nicht ein struppiger Langobarde wie du).
1996
Fred Astaire und Ginger Rogers haben die italienische Politik erfunden
Ginger Rogers ist gestorben. Ich nehme an, die Nachricht bewegt die Angehörigen meiner Generation und die Kinogänger jeden Alters, die sie immer noch vor sich sehen, wie sie in schwereloser Grazie mit ihrem unvergeßlichen Fred Astaire über das Parkett schwebt. Aus der Distanz (und mit dem Blick) des Nachgeborenen mag man bemerken, daß Fred Astaire vielleicht begabtere Partnerinnen hatte und daß Ginger, wenn sie nicht tanzte, den schweren, ein bißchen prostatischen Gang von De Sica als Marescial-lo in Brot, Liebe und Phantasie
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