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Des Lebens Überfluß

Des Lebens Überfluß

Titel: Des Lebens Überfluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Tieck
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    Es muß sich ja etwas finden, erwiderte Heinrich mit einem Blicke, als wenn sie etwas ganz Überflüssiges gesprochen hätte.
    Es war ganz hell geworden, die Wassersuppe war ihnen das köstlichste Frühstück, von Kuß und Gespräch gewürzt, und Heinrich setzte der Gattin auseinander, wie falsch jenes lateinische Sprüchwort sei: Sine Baccho et Cerere friget Venus. So vergingen ihnen die Stunden.
    Ich freue mich schon darauf, sagte Heinrich, wenn ich in meinem Tagebuche an die Stelle kommen werde, wie ich Dich, Geliebte, plötzlich entführen mußte.
    O Himmel! rief sie, wie uns damals jener wunderbare Augenblick so seltsam und unerwartet überraschte! Schon seit einigen Tagen hatte ich an meinem Vater eine gewisse Verstimmung bemerkt; er sprach in einem andern Tone zu mir als gewöhnlich. Er hatte sich früher über Deine häufigen Besuche gewundert; jetzt nannte er Dich nicht, sprach aber von Bürgerlichen, die ihre Stellung so oft verkennen und sich den Besten unbedingt gleichstellen wollten. Da ich nicht antwortete, wurde er böse, und da ich endlich sprach, artete seine Laune in heftigen Zorn aus. Ich fühlte, wie er Zank mit mir suchte, und nachher, wie er mich bewachte und von Andern beobachten ließ. Nach acht Tagen, als ich eben einen Besuch machen wollte, rannte meine getreue Kammerfrau mir auf der Treppe nach, der Bediente war schon voraus, und unter dem Vorwande, mir am Kleide etwas zu ordnen, sagte sie mir heimlich, wie Alles entdeckt sei; man habe meinen Schrank gewaltsam geöffnet und alle Deine Briefe gefunden, ich werde nach wenigen Stunden zu einer Tante fern in eine traurige Landschaft hinein verschickt werden. Wie schnell war mein Entschluß gefaßt! Ich stieg, um zu kaufen, an einem Galanterieladen ab, schickte Kutscher und Diener fort, um mich nach einer Stunde wieder abzuholen. –
    Und wie erstaunte, erschrak ich, war ich entzückt, rief der Gatte aus, als Du so plötzlich in mein Zimmer tratst. Ich kam von meinem Gesandten, ich war angekleidet; er hatte seltsame Reden geführt, in einem ganz andern Tone als gewöhnlich, halb bedrohend, warnend, aber immer noch freundlich. Ich hatte zum Glück verschiedene Pässe bei mir, und so bestiegen wir schnell, ohne Vorkehrungen einen Mietwagen, dann auf dem Dorfe ein Fuhrwerk und kamen so über die Grenze, wurden getraut und glücklich.
    Aber, fuhr sie fort, die tausend Verlegenheiten unterwegs, in schlechten Gasthöfen, der Mangel an Kleidern und Bedienung, die vielfachen Bequemlichkeiten, die wir gewohnt waren und die wir nun entbehren mußten – und der Schreck, als wir von ungefähr durch einen Reisenden erfuhren, wie man uns nachsetze, wie öffentlich Alles geworden sei, wie man so gar keine Rücksicht gegen uns beobachten wolle.
    Ja, ja, Liebchen, erwiderte Heinrich, das war auf der ganzen Reise unser schlimmster Tag. Denkst Du denn auch noch daran, wie wir, um nicht Argwohn zu erregen, mit jenem schwatzenden Fremden lachen mußten, als er sich in der Schilderung des Entführers erging, der nach seiner Meinung das Muster eines elenden Diplomaten sei, da er gar keine klugen Anstalten und sichere Vorkehrungen getroffen habe; wie er nun Deinen Geliebten wiederholend einen dummen Teufel, einen Einfaltspinsel nannte, wie Du in Zorn ausbrechen wolltest und auf meinen Wink Dich doch wieder zum Lachen zwangst, ja zum Überfluß nun selber zu schelten begannst, mich und Dich als Leichtsinnige, Unverständige schildertest, und endlich, als sich der Schwätzer, dem wir aber eigentlich seiner Warnung halber dankbar sein mußten, entfernt hatte, Du in ein lautes Weinen ausbrachst –
    Ja, rief sie aus, ja, Heinrich, das war ein eben so lustiger als betrübter Tag. Unsre Ringe, so manches Wertvolle, das wir zufällig an uns trugen, half uns nun fort. Aber, daß wir Deine Briefe nicht haben retten können, ist ein unersetzlicher Verlust. Und heiß überläuft mich die Angst, so oft es mir einfällt, daß andre Augen als die meinigen diese Deine himmlischen Worte, alle diese glühenden Töne der Liebe gelesen haben und an diesen Lauten, die meine Seligkeit waren, nur ein Ärgernis genommen.
    Und noch schlimmer, fuhr der Gatte fort, daß meine Dummheit und Übereilung auch alle die Blätter zurückgelassen hat, die Du mir in so mancherlei Stimmungen schicktest oder heimlich in die Hand drücktest. In allen Prozessen, nicht bloß denen der Liebe, ist immer das Schwarz auf Weiß, welches das Geheimnis entdeckt oder den Casus verschlimmert. Und doch kann man

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