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Des Todes Dunkler Bruder

Des Todes Dunkler Bruder

Titel: Des Todes Dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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mir ist nie zuvor der Gedanke gekommen, dass es bei einem Mord um irgendetwas Politisches gehen könnte.«
    »Bei praktisch allem«, sagte ich. Ich bog in ihre Straße ab und hielt vor ihrem hübschen, unauffälligen Haus.
    »Aber dir«, sagte sie. Sie schien weder zu registrieren, wo wir waren, noch was ich gesagt hatte. »Dort setzt du an. Die meisten Menschen würden niemals so weit denken.«
    »Ich bin nicht im Mindesten tiefgründig, Rita«, wehrte ich ab. Ich parkte den Wagen in einer Lücke.
    »Es ist irgendwie … Irgendwie hat alles zwei Gesichter. Das eine ist das, was wir zu sehen vorgeben, das andere ist die Wirklichkeit. Und du weißt das, und es ist wie ein Spiel für dich.«
    Ich hatte keine Ahnung, was sie zu sagen versuchte.
    In Wahrheit hatte ich längst aufgegeben, es herausfinden zu wollen, und war, während sie sprach, im Geist zurück zu dem neuesten Mord gewandert; zu der Sauberkeit des Fleisches, der improvisierten Qualität der Schnitte, dem vollständigen, trockenen, fleckenlosen, makellosen Fehlen von Blut …
    »Dexter …«, sagte Rita. Sie legte mir die Hand auf den Arm.
    Ich küsste sie.
    Ich weiß nicht, wer von uns überraschter war. Ich hatte es nicht vorgehabt. Und an ihrem Parfüm lag es gewiss nicht. Aber ich presste meine Lippen auf ihre und verharrte so für einen langen Augenblick.
    Sie schob mich zurück.
    »Nein«, sagte sie. »Ich … nein, Dexter.«
    »In Ordnung«, sagte ich, noch immer schockiert von dem, was ich getan hatte.
    »Ich glaube, ich will nicht … ich bin nicht bereit für … Verdammt, Dexter«, sagte sie. Sie öffnete ihren Sicherheitsgurt, dann die Wagentür und lief ins Haus.
    Ach du meine Güte, dachte ich. Was um Himmels willen habe ich da bloß getan? Und ich wusste, dass ich darüber nachdenken und vielleicht enttäuscht sein sollte, weil ich nach anderthalb Jahren schwierigster Instandhaltungsarbeiten meinen Deckmantel zerstört hatte.
    Aber ich konnte an nichts anderes als den säuberlichen Stapel Leichenteile denken.
    Kein Blut.
    Überhaupt keins.

7
    D er Körper ist exakt so ausgerichtet, wie es mir zusagt. Arme und Beine sind gefesselt, der Mund mit Klebeband geknebelt, so dass kein Geräusch und kein Speichel meine Arbeit störten. Und meine Hände halten das Messer so ruhig, dass ich sicher bin, dies hier wird gute Arbeit, sehr befriedigende … Abgesehen davon, dass es kein Messer ist, sondern eine Art …
    Abgesehen davon, dass es nicht meine Hand ist. Obwohl meine Hand sich mit der Hand bewegt, ist es nicht meine, in der die Klinge liegt. Und der Raum ist wirklich sehr klein, so beengt, was sinnvoll scheint, weil er – was ist?
    Und jetzt schwebe ich über diesem vollkommenen, beengten Arbeitsplatz, dem verführerischen Körper, und zum ersten Mal spüre ich den eisigen Luftzug um mich herum und irgendwie auch durch mich hindurch.
    Und wenn ich nur meine Zähne spüren könnte, würden sie mit Sicherheit klappern. Und meine Hand gleitet in perfekter Verschmelzung mit dieser anderen Hand in einem Bogen hoch, um den ersten perfekten Schnitt zu setzen …
    Und natürlich erwache ich in meinem Apartment. Ich stehe vollkommen nackt an der Eingangstür. Schlafwandeln könnte ich verstehen, aber Schlafstrippen? Also wirklich. Ich stolpere zurück zu meinem kleinen Rollbett. Die Decken liegen zusammengeknüllt auf dem Boden. Die Klimaanlage hat die Raumtemperatur auf knapp sechzehn Grad abgekühlt. Gestern Abend schien das eine gute Idee zu sein, nach dem, was zwischen Rita und mir vorgefallen war, war ich ein wenig durcheinander gewesen. Grotesk, wenn es überhaupt wirklich passiert war. Dexter, der Herzensbrecher, raubt Küsse.
    Und so hatte ich, nachdem ich wieder zu Hause angekommen war, lange und heiß geduscht und den Regler ganz nach unten geschoben, bevor ich ins Bett geklettert war. Ich gebe nicht vor, den Grund dafür zu kennen, aber in meinen schwärzesten Momenten empfinde ich Kälte als reinigend. Nicht eigentlich erfrischend, aber notwendig.
    Und es war kalt. Mittlerweile viel zu kalt für Kaffee und einen Tagesbeginn inmitten der letzten Traumsplitter.
    In der Regel erinnere ich mich nicht an meine Träume oder messe ihnen keine Bedeutung bei, wenn ich es doch einmal tue. Deshalb war es umso lächerlicher, dass ich diesen nicht abschütteln konnte.
    … schwebe ich über diesem vollkommenen, beengten Arbeitsplatz … und meine Hand gleitet in perfekter Verschmelzung mit dieser anderen Hand in einem Bogen hoch, um den ersten perfekten

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