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Des Todes Dunkler Bruder

Des Todes Dunkler Bruder

Titel: Des Todes Dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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geliebten Mannes erfahren hatte, war sie an Sex vollkommen desinteressiert. Sie suchte nur ein bisschen männliche Gesellschaft.
    Sie hatte nach genau dem richtigen Typ gesucht: sensibel, sanft und bereit zu warten. Natürlich dauerte das ziemlich lange. Sie suchte nach einem Fantasiemann, der mehr Interesse daran hatte, mit jemandem zu reden und ins Kino zu gehen, als dass er Sex brauchte, weil sie einfach noch nicht dazu bereit war.
    Sagte ich Fantasie? Nun ja. Männer sind nicht so. Die meisten Frauen mit zwei Kindern wissen das nach ihrer ersten Scheidung. Die arme Rita hatte zu jung und zu schlecht geheiratet, um diese wertvolle Lektion zu lernen. Und als Nebenprodukt der Erholung von ihrer schrecklichen Ehe hatte sie die romantische Vorstellung vom perfekten Gentleman entwickelt, der bis in alle Ewigkeit warten würde, dass sie sich wie eine kleine Blume entfaltete, anstatt zu begreifen, dass alle Männer Tiere sind.
    Nun gut. Wirklich. Vielleicht hatte so ein Mann im viktorianischen England existiert – wo es an jeder Ecke ein Bordell gab, in dem er zwischen den blumigen Beteuerungen spannungsloser Liebe Dampf ablassen konnte.
    Aber meines Wissens nicht im Miami des 21. Jahrhunderts.
    Und doch – ich konnte all das perfekt imitieren. Und ich wollte es auch. An einer sexuellen Beziehung war ich nicht interessiert. Ich brauchte einen Deckmantel; Rita war genau das, wonach ich Ausschau hielt.
    Sie war, wie gesagt, sehr vorzeigbar. Klein, keck und couragiert, mit einer schlanken, athletischen Figur, kurzen blonden Haaren und blauen Augen. Sie war eine Fitnessfanatikerin, verbrachte ihre gesamte Freizeit mit Laufen, Radfahren und solchem Zeug. Tatsächlich gehörte Schwitzen zu unseren bevorzugten Aktivitäten.
    Wir waren durch die Everglades geradelt, die 5000 Meter gelaufen und hatten sogar zusammen Gewichte gestemmt.
    Aber das Beste daran waren ihre beiden Kinder. Astor war acht, Cody fünf, und sie waren viel zu ruhig.
    Das war nur natürlich. Kinder, deren Eltern regelmäßig versuchen, sich gegenseitig mit dem Mobiliar zu erschlagen, neigen zu leichter Zurückgezogenheit. Jedes in einem Katastrophengebiet aufgewachsene Kind tut das.
    Aber man kann sie aus sich herauslocken – nehmen Sie mich als Beispiel. Als Kind war ich namenlosen, unbekannten Schrecken ausgesetzt gewesen, und jetzt stand ich hier: ein nützlicher Bürger, eine Säule der Gesellschaft.
    Vielleicht war das einer der Gründe für meine befremdliche Zuneigung zu Cody und Astor. Denn ich mochte sie wirklich, und das verstand ich nicht. Ich weiß, was ich bin und sehr viel über mich. Aber eine meiner Charaktereigenschaften, die mir echte Rätsel aufgibt, ist meine Haltung gegenüber Kindern. Ich mag sie.
    Sie sind mir wichtig. Sie zählen.
    Ich begreife es nicht, wirklich. Es würde mir ehrlich nicht das Geringste ausmachen, wenn jeder Mensch im Universum plötzlich den Geist aufgeben würde, abgesehen von mir und vielleicht Deborah. Andere Menschen sind mir unwichtiger als Gartenmöbel. Wie Psychiater es immer so nett formulieren, besitze ich keinen Sinn für die Realität des Anderen. Und dieses Wissen bedrückt mich nicht weiter.
    Aber Kinder – Kinder sind etwas anderes. Ich traf mich seit anderthalb Jahren mit Rita, und in dieser Zeit hatte ich langsam und behutsam Astor und Cody für mich eingenommen. Ich war in Ordnung. Ich würde ihnen nicht wehtun. Ich dachte an ihre Geburtstage, ihre Zeugnistermine, ihre Ferien. Ich konnte ihr Haus betreten und würde keinen Schaden anrichten. Man konnte mir vertrauen. Was für eine Ironie, ehrlich. Aber wahr. Ich, der einzige Mann, dem sie wirklich vertrauen konnten. Rita hielt es für einen Teil meines langen, langsamen Werbens um sie. Zeig ihr, dass die Kinder dich mögen – und wer weiß? Aber in Wahrheit bedeuteten sie mir mehr als sie. Vielleicht war es schon zu spät, aber ich wollte nicht, dass sie so wurden wie ich.
    An diesem Freitagabend öffnete Astor mir die Tür. Sie trug ein großes T-Shirt mit der Aufschrift RugRats, das ihr bis über die Knie reichte. Ihr rotes Haar war zu zwei Zöpfen gebunden, und ihr kleines, stilles Gesicht war vollkommen ausdruckslos.
    »Hallo Dexter«, grüßte sie in ihrer allzu ruhigen Art.
    Für sie bedeuteten zwei Worte ein langes Gespräch.
    »Guten Abend, wunderschöne junge Dame«, sagte ich in meiner besten Lord-Mountbatten-Imitation. »Sie sehen heute Abend besonders reizend aus, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf?«
    »Okay«, sagte sie und

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