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Des Todes Dunkler Bruder

Des Todes Dunkler Bruder

Titel: Des Todes Dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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den Tatort zu.
    »Wohin fahren wir?«, fragte Rita verständlicherweise.
    »Ah«, sagte ich. »Ich will nur nachsehen, ob ich gebraucht werde.«
    »Hast du keinen Pieper?«
    Ich schenkte ihr mein gewinnendstes Freitagabendlächeln. »Sie wissen nicht immer, dass sie mich brauchen.«
    Ich hätte vermutlich sowieso angehalten, um mit Rita anzugeben. Schließlich lag der Witz eines Deckmantels darin, ihn herzuzeigen. Aber in Wahrheit hätte mich die unwiderstehliche, leise jammernde Stimme in meinem Ohr so oder so zum Halten bewegt. Das war er. Und ich musste herausfinden, was er vorhatte. Ich ließ Rita im Wagen und eilte hinüber.
    Er hatte nichts Gutes im Sinn, der Schlawiner. Dort lag wieder der gleiche Stapel sorgfältig eingewickelter Leichenteile. Angel-keine-Verwandtschaft beugte sich in fast derselben Haltung darüber wie zuvor, als ich ihn am letzten Tatort zurückgelassen hatte.
    » Hijo de puta « , sagte er, als ich ihn erreichte.
    »Nicht ich, hoffe ich«, sagte ich.
    »Der Rest von uns beklagt sich, wenn er am Freitagabend arbeiten muss«, bemerkte Angel. »Du tauchst mit deiner Verabredung auf. Und es ist immer noch nichts für dich dabei.«
    »Selber Typ, selbes Muster?«
    »Derselbe«, sagte er. Er schlug den Kunststoff mit seinem Füller zurück. »Wieder knochentrocken«, stellte er fest. »Überhaupt kein Blut.«
    Die Worte machten mich leicht schwindelig. Ich beugte mich vor, um einen Blick darauf zu werfen. Wieder waren die Leichenteile erstaunlich sauber und trocken. Sie hatten einen leichten Blauschimmer und schienen augenblicklich konserviert zu sein. Wunderbar.
    »Die Schnitte variieren dieses Mal ein wenig«, sagte Angel. »An vier Stellen.« Er zeigte darauf. »Sehr heftig hier, fast emotional. Dann hier, nicht so stark. Hier und hier, dazwischen. Hm?«
    »Sehr hübsch«, sagte ich.
    »Und dann schau dir das an«, sagte er. Er schob das blutleere Stück obenauf mit dem Stift zur Seite. Darunter schimmerte weiß ein weiteres Stück. Das Fleisch war der Länge nach sorgfältig abgeschält worden, um den sauberen Knochen freizulegen.
    »Warum hat er das getan?«, fragte Angel leise.
    Ich holte Luft. »Er experimentiert«, sagte ich. »Versucht den richtigen Weg zu finden.« Und ich starrte auf den sauberen trockenen Abschnitt, bis mir bewusst wurde, dass Angel mich schon eine Weile ansah.
    »Wie ein Kind, das mit seinem Essen spielt«, beschrieb ich das Ganze Rita, nachdem ich zum Auto zurückgekehrt war.
    »Mein Gott«, sagte Rita. »Das ist ja grauenhaft.«
    »Ich glaube, das richtige Wort wäre abscheulich « , meinte ich.
    »Wie kannst du darüber Witze machen, Dexter?«
    Ich lächelte sie beruhigend an. »Bei meiner Arbeit gewöhnt man sich an so etwas«, sagte ich. »Wir machen Witze, um unseren Schmerz zu überspielen.«
    »Großer Gott, ich hoffe, sie kriegen diesen Irren bald.«
    Ich dachte an die säuberlich aufgeschichteten Leichenteile, die Vielfalt der Schnitte, die absolut wundervolle Blutleere. »Nicht zu bald«, sagte ich.
    »Was hast du gesagt?«, fragte sie.
    »Ich habe gesagt, ich glaube nicht, dass das allzu bald passiert. Der Killer ist extrem clever, und der verantwortliche Detective interessiert sich mehr für die politischen Aspekte als für die Aufklärung der Morde.«
    Sie sah mich an, um herauszufinden, ob ich Scherze machte. Dann saß sie eine Weile schweigend da, während wir die US 1 hinunterfuhren. Erst in South Miami ergriff sie wieder das Wort. »Ich kann mich an den Anblick einfach nicht gewöhnen … Ich weiß nicht. Die Kehrseite? Daran, wie die Dinge in Wirklichkeit sind? An die Art, wie du sie siehst«, schloss sie schließlich.
    Sie erwischte mich kalt. Ich hatte das Schweigen genutzt, um über die säuberlich gestapelten Leichenteile nachzudenken, die wir gerade hinter uns gelassen hatten. Mein Verstand war gierig um die sauberen, trockenen, abgehackten Glieder gekreist, wie ein Adler auf der Suche nach einem Stück Fleisch zum Herausreißen.
    Ritas Beobachtung kam so unerwartet. Ich konnte einen Augenblick lang nicht mal stottern. »Wie meinst du das?«, brachte ich schließlich heraus.
    Sie runzelte die Stirn. »Ich – ich bin nicht sicher. Nur – wir alle nehmen an, dass Dinge … auf gewisse Weise sind. So wie sie sein sollen? Und dann sind sie es nie, sie sind immer eher … Ich weiß nicht. Düsterer? Menschlicher? Wie das hier. Ich denke selbstverständlich, dass der Detective den Killer fassen möchte, das ist es doch, was Detectives tun? Und

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