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Des Todes Dunkler Bruder

Des Todes Dunkler Bruder

Titel: Des Todes Dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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gestohlen gemeldet worden. Die Jungs von der Streife drüben sagen, dass die meisten in irgendwelchen Kanälen wieder auftauchen, abgefackelt, um die Versicherung zu kassieren. Niemand strengt sich besonders an, sie zu finden. Deshalb beschäftigt sich auch keiner besonders ein-gehend mit diesen hier, und auch in Zukunft wird es keiner tun.«
    »Willkommen in Miami«, sagte ich.
    Deborah seufzte und nahm mir die Liste wieder ab, dann ließ sie sich auf meinen Zusatzstuhl sinken, als hätte sie gerade ihr Skelett verloren. »Ich habe keine Möglichkeit, alle zu überprüfen, nicht ganz allein. Es würde Monate dauern. Verdammt, Dex«, sagte sie. »Was sollen wir jetzt machen?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Es tut mir Leid, Deb«, sagte ich. »Aber jetzt können wir nur noch abwarten.«
    »Das ist alles? Einfach abwarten?«
    »Das ist alles«, sagte ich.
    Und das war es. Für zwei weitere Wochen war das alles.
    Wir warteten.
    Aber dann.

9
    I ch erwachte schweißgebadet, ohne genau zu wissen, wo ich war, aber absolut sicher, dass ein weiterer Mord kurz bevorstand. Irgendwo ganz in der Nähe suchte er nach der Nächsten, glitt durch die Stadt wie der Hai durchs Riff. Ich war so sicher, dass ich beinah das Knirschen des Klebebands hören konnte. Er war dort draußen, nährte seinen Dunklen Passagier, und dieser sprach zu meinem. Und im Schlaf war ich mit ihm unterwegs gewesen, ein phantomgleicher Pilotfisch, der mit ihm seine langsamen großen Kreise zog.
    Ich setzte mich in meinem kleinen Bett auf und schob die verhedderten Decken zurück. Der Wecker zeigte 3:14.
    Vier Stunden waren vergangen, seitdem ich zu Bett gegangen war, und ich fühlte mich, als wäre ich die ganze Zeit mit einem Klavier auf dem Rücken durch den Urwald gestapft. Ich war verschwitzt, verkrümmt und verblödet, unfähig, einen anderen Gedanken zu verfolgen als die absolute Gewissheit, dass es dort draußen passierte, ohne mich. In dieser Nacht war an Schlaf zweifellos nicht mehr zu denken. Ich schaltete das Licht an. Meine Hände waren feucht und zitterten. Ich wischte sie an den Decken ab, aber es nützte nichts. Die Decken waren genauso klamm. Ich stolperte ins Bad, um mir die Hände zu waschen. Ich hielt sie unter das laufende Wasser. Der Hahn entließ einen warmen Strom, Raumtemperatur, und einen Moment lang wusch ich meine Hände in Blut, und das Wasser färbte sich rot; nur eine Sekunde verfärbte sich das Waschbecken im Dämmerlicht des Badezimmers blutrot. Ich schloss die Augen. Die Welt verschwamm.
    Ich hatte diesen Streich, den Beleuchtung und Halbschlaf mir spielten, beenden wollen. Schließe die Augen, öffne sie, und die Illusion wird sich verflüchtigt haben, im Waschbecken wird sich nur klares Wasser befinden. Stattdessen schien es, als hätte das Schließen der Augen mir den Blick in eine andere Welt eröffnet. Ich träumte wieder, schwebte wie eine Messerklinge über den Lichtern des Biscayne Boulevard, schwebte eisig und schneidend meinem Ziel entgegen und … Ich schlug die Augen auf. Das Wasser war nur Wasser. Aber was war ich?
    Ich schüttelte wild den Kopf. Ruhig, alter Junge; nein Dexter, nicht ausrasten, bitte. Ich holte tief Luft und starrte mich an. Mein Spiegelbild sah vollkommen normal aus. Sorgfältig arrangierte Züge. Ruhige, spöttische blaue Augen, eine perfekte Imitation menschlichen Lebens. Abgesehen davon, dass meine Haare hochstanden wie die von Stan Laurel, gab es keinerlei Anzeichen für das, was eben durch mein vom Schlaf betäubtes Hirn gerauscht war und mich geweckt hatte.
    Ich schloss vorsichtig wieder die Augen.
    Dunkelheit.
    Einfache, reine Dunkelheit. Kein Schweben, kein Blut, keine Lichter der Großstadt. Nur der gute alte Dexter, der mit geschlossenen Augen vor dem Spiegel stand.
    Ich schlug sie wieder auf. Hallo, lieber Junge, wie schön, dass du wieder da bist. Aber wo um Himmels willen bist du gewesen?
    Das war natürlich die Frage. Die längste Zeit meines Lebens bin ich weder von Träumen noch, wo wir schon darüber reden, von Halluzinationen geplagt worden.
    Keine Visionen der Apokalypse; keine beunruhigenden Jung’schen Ikonen, die aus meinem Unterbewusstsein an die Oberfläche trieben, keine geheimnisvollen Bilder, die durch meine Bewusstlosigkeit drifteten. Nichts stört jemals Dexters Nächte. Wenn ich schlafe, schläft alles in mir.
    Was war dann gerade passiert? Warum erschienen mir diese Bilder?
    Ich spritzte mir Wasser ins Gesicht und strich meine Haare glatt. Das beantwortete

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