Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Des Todes Dunkler Bruder

Des Todes Dunkler Bruder

Titel: Des Todes Dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
Vom Netzwerk:
und Apartments einen weiten Bogen. Auf der Rechten standen kleine, aber kostspielige Häuser. Auf beiden Seiten bewegte sich nichts. Man sah keine Lichter, kein Anzeichen für irgendetwas, weder Verkehr noch Leben.
    Ich fuhr langsam durch das Village. Leer. Er war verschwunden. Auf einer Insel mit nur einer Durchgangsstraße hatte er mich abgehängt. Aber wie?
    Ich parkte auf dem Seitenstreifen und schloss die Augen.
    Ich weiß nicht warum, vielleicht hoffte ich, wieder etwas zu sehen. Aber da war nichts. Nur Dunkelheit und kleine leuchtende Punkte, die auf der Innenseite meiner Lider tanzten. Ich war müde. Ich kam mir dumm vor.
    Ja, ich, der dreiste Dexter, der versuchte, Supermann zu spielen, indem er seine enormen psychischen Kräfte nutzte, um das Genie des Bösen aufzuspüren. Ihn mit seinem hochgerüsteten Antiverbrechensfahrzeug verfolgte. Aber aller Wahrscheinlichkeit nach war es nur ein gelangweilter Lieferbursche, der mit dem einzigen anderen Fahrer dieser Nacht Machospielchen spielte.
    Eine Angelegenheit, die jedem Fahrer in dieser hübschen Stadt täglich widerfuhr. Fang mich doch, du kriegst mich nicht. Dann der Stinkefinger, das Schwenken der Waffe und, heiho, zurück an die Arbeit.
    Nur ein Kühltransporter auf dem Weg nach Miami, nichts weiter, dessen Radiolautsprecher vom eingestellten Heavy-Metal-Sender zerfetzt wurden. Und nicht mein Killer, keine geheimnisvolle Bindung, die mich mitten in der Nacht aus dem Bett und auf die Straßen trieb. Weil das einfach zu blöd war, um wahr zu sein, und zu blöd für den ausgeglichenen, kaltherzigen Dexter.
    Ich ließ meinen Kopf aufs Lenkrad sinken. Wie wundervoll, eine so authentische menschliche Erfahrung zu durchleben. Nun wusste ich, was es bedeutete, sich wie ein kompletter Idiot vorzukommen. Aus der Nähe hörte ich die Glocke der Zugbrücke, deren Klingeln warnte, dass die Brücke hochgezogen wurde. Ding ding ding.
    Die Alarmglocke meines erschöpften Intellekts. Ich gähnte. Zeit, nach Hause zu fahren, zurück ins Bett.
    Hinter mir sprang ein Motor an. Ich sah nach hinten.
    Er kam in hohem Tempo in einem engen Bogen hinter der Tankstelle am Fuß der Brücke hervorgeschossen. Er schleuderte an mir vorbei und beschleunigte weiter, und inmitten der Bewegung sah ich verschwommen, wie durch das Fahrerfenster etwas Ballförmiges wild und heftig auf mich zuwirbelte. Ich duckte mich. Etwas knallte gegen die Seite meines Wagens und machte dabei ein Geräusch, das auf eine kostspielige Beule schließen ließ. Ich wartete einen Augenblick ab, nur um sicherzugehen. Dann hob ich den Kopf und sah nach. Der Transporter raste davon, durchbrach die hölzerne Schranke der Zugbrücke und preschte weiter, sprang über die Brücke, als sie zu steigen begann und schaffte es mühelos auf die andere Seite, während der Brückenwärter sich noch hinauslehnte und brüllte. Dann war er fort, auf der gegenüberliegenden Seite der Brücke, zurück in Miami, auf der anderen Seite des immer größer werdenden Zwischenraums. Verschwunden, hoffnungslos verschwunden, verschwunden, als hätte er nie existiert.
    Und ich würde nie erfahren, ob es mein Killer gewesen war oder nur ein anderer, ganz normaler Irrer aus Miami.
    Ich stieg aus und begutachtete die Beule. Sie war groß.
    Ich sah mich auf der Suche nach dem Gegenstand um, den er geworfen hatte.
    Er war fünf, sechs Meter weitergerollt und kam zitternd auf der Fahrbahn zur Ruhe. Selbst aus der Entfernung konnte man ihn unmöglich verwechseln, aber wie um mir absolute Sicherheit zu geben und sämtliche Zweifel auszuräumen, wurde er von den Scheinwerfern eines entgegenkommenden Fahrzeugs beleuchtet. Der Wagen schlingerte und krachte in eine Hecke, und durch das nun ununterbrochene Dröhnen der Hupe konnte ich den Fahrer kreischen hören. Ich ging hinüber zu dem Ding, um mich zu vergewissern.
    Ja, tatsächlich. Das war es.
    Der Kopf einer Frau.
    Ich beugte mich vor. Ein sehr sauberer Schnitt, sehr gute Arbeit. An den Wundrändern fand sich fast kein Blut.
    »Gott sei Dank«, sagte ich, und mir wurde bewusst, dass ich lächelte – und warum auch nicht?
    War das nicht schön? Ich war kein bisschen verrückt.

10
    I ch hockte auf dem Kofferraum meines Autos, als LaGuerta früh um acht Uhr zu mir herüberkam. Sie lehnte sich mit ihrer maßgeschneiderten Hüfte gegen den Wagen und rutschte herüber, bis unsere Schenkel sich berührten.
    Ich wartete darauf, dass sie etwas sagte, aber sie schien keine dem Anlass angemessenen Worte zu

Weitere Kostenlose Bücher