Des Todes Dunkler Bruder
von Verrücktheit – aber sich so zu verhalten, ist gesellschaftlich inakzeptabel. Zu guter Letzt würden sie mich doch noch einsperren müssen.
Und doch war das Gefühl außerordentlich stark. Ich versuchte es abzuschütteln; nur eine Laune, reine Nervensache; ein vorübergehendes Unwohlsein. Ich stand auf, streckte mich, atmete tief durch und versuchte, an angenehme Dinge zu denken. Mir fiel nichts ein.
Ich schüttelte den Kopf, ging in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken, und da war es.
Da war es.
Ich stand vor dem Kühlschrank und sah einfach hin, ich weiß nicht wie lange, starrte einfältig darauf.
An meinem Kühlschrank, mit einem meiner kleinen Südfruchtmagneten an den Haaren befestigt, hing der Kopf einer Barbiepuppe. Ich konnte mich nicht daran erinnern, ihn dort befestigt zu haben. Ich konnte mich nicht einmal erinnern, dass ich ihn besaß. Aber ganz bestimmt war er eines jener Dinge, an die ich mich erinnern würde.
Ich streckte die Hand aus, um den kleinen Kunststoffkopf zu berühren. Er schwang sanft hin und her. Wenn er gegen die Kühlschranktür prallte, machte es leise fump. Er beschrieb einen Viertelkreis, bis Barbie mich mit wachen Augen wie ein aufmerksamer Schäferhund anschaute. Ich erwiderte den Blick.
Ohne wirklich zu wissen, was oder warum ich es tat, öffnete ich die Tür des Gefrierfachs. Darin lag, sorgfältig oben auf den Eiswürfelbehälter drapiert, Barbies Leiche. Arme und Beine waren herausgerissen worden, der Körper in Hüfthöhe zerteilt. Die Teile waren säuberlich aufgeschichtet, jedes einzeln eingewickelt und mit einem rosa Band verschnürt. Und in einer von Barbies winzigen Händen steckte ein wichtiges Accessoire, Barbies Schminkspiegel.
Nach einem langen Augenblick schloss ich die Tür des Gefrierfachs. Ich wollte mich auf den Boden legen und meine Wange gegen das kühle Linoleum pressen. Stattdessen streckte ich den kleinen Finger aus und schnippte gegen Barbies Kopf. Er prallte fump, fump gegen die Tür. Ich schnippte wieder. Fump, fump. Juhu. Ich hatte ein neues Hobby.
Ich ließ die Puppe Puppe sein und ging zurück zu meinem Sessel, ließ mich tief in die Polster sinken und schloss die Augen. Mir war bewusst, dass ich aufgeregt sein sollte, wütend, ängstlich, verletzt, erfüllt von paranoider Feindseligkeit und gerechtem Zorn. Aber nichts dergleichen. Stattdessen fühlte ich – was? Mich mehr als nur ein bisschen schwindelig. Vielleicht ängstlich – oder war es ein Hochgefühl?
Es bestand natürlich nicht der geringste Zweifel, wer in mein Apartment eingebrochen war. Es sei denn, ich würde die Vorstellung akzeptieren, dass ein Fremder aus unbekannten Motiven zufällig meine Wohnung als idealen Ort auserkoren hatte, um seine enthauptete Barbie auszustellen.
Nein. Mein Lieblingskünstler hatte mich besucht. Wie er mich gefunden hatte, war nicht von Bedeutung. Es wäre ihm in jener Nacht ein Leichtes gewesen, die Nummer meines Wagens zu notieren. In seinem Versteck hinter der Tankstelle hatte er mehr als genug Zeit gehabt, mich zu beobachten. Und anschließend hätte jeder, der nicht gerade ein Computeranalphabet war, meine Adresse herausfinden können. Und hatte er sie erst, war es einfach, hineinzuschleichen, sich gründlich umzuschauen und eine Nachricht zu hinterlassen.
Und das war die Nachricht. Der Kopf hing einzeln, die Leichenteile lagen auf meinem Eisbehälter, und wieder der verdammte Spiegel. Kombiniert mit dem völligen Desinteresse an allem anderen in meiner Wohnung fügte es sich zu einer einzigen Aussage zusammen.
Aber zu welcher? Was sagte er mir?
Er hätte alles und nichts hier lassen können. Er hätte ein blutiges Fleischermesser durch ein Rinderherz jagen und auf meinem Linoleum aufspießen können. Ich war dankbar, dass er diese Sauerei unterlassen hatte, aber warum Barbie? Abgesehen von der Tatsache, dass die offensichtliche Puppe seinen letzten Mord widerspiegelte, warum mir davon erzählen? Und war diese bösartiger als eine andere, schleimigere Botschaft – oder nicht? Lautete sie: »Ich beobachte dich und ich kriege dich?«
Oder sagte er: »Hallo! Möchtest du spielen?«
Das wollte ich. Selbstverständlich wollte ich das.
Aber was war mit dem Spiegel? Ihn dieses Mal hinzuzufügen verlieh ihm eine Bedeutung, die weit über den Transporter und die Jagd auf dem Causeway hinausreichte. Nun musste er viel mehr bedeuten. Alles, was mir einfiel war: »Schau dich an!« Aber was für einen Sinn ergab das? Warum sollte ich mich
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