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Des Todes Dunkler Bruder

Des Todes Dunkler Bruder

Titel: Des Todes Dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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anschauen? Ich bin nicht eitel genug, um mich an mir selbst zu erfreuen – zumindest auf meine körperliche Erscheinung bilde ich mir nichts ein. Und warum sollte ich mich überhaupt ansehen, wenn ich einzig und allein den Mörder sehen wollte? Also musste der Spiegel noch eine andere Bedeutung haben, die ich nicht erkannte.
    Aber selbst dessen konnte ich nicht gewiss sein. Möglicherweise gab es gar keine tiefere Bedeutung. Ich mochte das von einem so eleganten Künstler zwar nicht glauben, aber möglich war es. Und die Botschaft konnte ebenso gut intim, geistesgestört und bösartig sein.
    Es gab absolut keine Möglichkeit, das herauszufinden.
    Und genauso gab es keine Möglichkeit für mich, herauszufinden, was ich deswegen unternehmen sollte. Falls ich etwas unternehmen sollte.
    Ich traf eine menschliche Entscheidung. Komisch, wenn man darüber nachdenkt; ich, eine menschliche Entscheidung treffend. Harry wäre stolz auf mich gewesen. Ich beschloss, vollkommen menschlich, gar nichts zu tun.
    Abwarten und Tee trinken. Ich würde den Vorfall nicht melden. Was hätte ich melden sollen? Nichts fehlte. Es gab absolut nichts, was offiziell weitergeleitet werden musste, es sei denn … »Ach, Captain Matthews, ich glaube, Sie sollten wissen, dass anscheinend jemand in meine Wohnung eingebrochen ist und eine Barbiepuppe in meinem Eisfach liegen gelassen hat.«
    Das besaß das gewisse Etwas. Ich war sicher, dass die Abteilung sich sehr darüber freuen würde. Vielleicht würde Sergeant Doakes persönlich ermitteln und am Ende die Erlaubnis erhalten, seine verborgenen Talente zum schrankenlosen Verhör zu entfalten. Aber vielleicht würden sie mich auch einfach auf die Liste der geistig Minderbemittelten setzen, zusammen mit der armen Deb, da der Fall ja offiziell als abgeschlossen galt und rein gar nichts mit Barbiepuppen zu tun hatte, selbst als noch ermittelt wurde.
    Nein, es gab wirklich nichts zu erzählen, zumindest nichts, was ich hätte erklären können. Deshalb würde ich das Risiko einer weiteren heftigen Ellbogenattacke eingehen und Deborah nichts davon sagen.
    Aus Gründen, die ich nicht erklären konnte, nicht einmal mir selbst, war es eine persönliche Angelegenheit.
    Und wenn ich es dabei beließ, erhöhten sich meine Chancen, meinem Besucher näher zu kommen. Um ihn der Gerechtigkeit zu überantworten, natürlich. Selbstverständlich.
    Nachdem ich mich dazu entschlossen hatte, war ich erleichtert, fast leichtfertig. Ich hatte keine Vorstellung, was dabei herauskommen würde, aber ich war bereit, mir alles anzuschauen. Dieses Gefühl hielt die ganze Nacht an und sogar noch am nächsten Tag bei der Arbeit, wo ich einen Laborbericht anfertigte, Deb tröstete und Vince Masuoka einen Doughnut klaute. Es begleitete mich während meiner Fahrt nach Hause durch den angenehm mörderischen Feierabendverkehr. Ich befand mich in einer Art Zen-Bereitschaft, auf jede Überraschung gefasst. Das dachte ich wenigstens.
    Ich war gerade in meine Wohnung zurückgekehrt, hatte mich in meinen Sessel geworfen und entspannt, als das Telefon schrillte. Ich ließ es klingeln. Ich wollte ein paar Minuten durchatmen und über nichts nachdenken, das nicht warten konnte. Außerdem hatte ich fast fünfzig Dollar für einen Anrufbeantworter ausgegeben. Sollte der sich erst mal bezahlt machen. Das zweite Klingeln. Ich schloss die Augen. Atmete ein. Entspann dich, alter Junge. Drittes Klingeln. Ausatmen. Der Anrufbeantworter klickte und meine wundervoll großstädtische Nachricht wurde abgespielt.
    »Hallo, ich bin gerade nicht da, aber falls Sie nach dem Piepton eine Nachricht hinterlassen, rufe ich Sie umgehend zurück. Danke.«
    Was für eine fabelhafte Stimme. Welch ätzender Witz. Insgesamt eine großartige Ansage. Sie klang fast menschlich. Ich war sehr stolz. Ich atmete wieder ein und lauschte dem melodischen Biiieeep, das folgte.
    »Hi, ich bin’s.«
    Eine weibliche Stimme. Nicht Deborah. Ich spürte, wie mein Augenlid irritiert zuckte. Warum beginnen so viele Menschen ihre Nachrichten mit »Ich bin’s«? Natürlich sind Sie es. Wir alle wissen das. Aber wer zum Teufel SIND Sie? In meinem Fall war die Auswahl sehr begrenzt. Ich wusste, dass es nicht Deborah war. Es klang nicht wie LaGuerta, obwohl nichts unmöglich war.
    Übrig blieb demnach … Rita?
    »Äh, entschuldige, ich …« Ein tiefes Seufzen. »Hör mal, Dexter, es tut mir Leid. Ich dachte, du würdest mich anrufen, und als du es nicht getan hast, habe ich …«, ein

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