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Des Todes Dunkler Bruder

Des Todes Dunkler Bruder

Titel: Des Todes Dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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verfahrenen gesellschaftlichen Situationen bin ich normalerweise gut, aber diesmal war ich mit meiner Weisheit am Ende. Ich wusste einfach nicht, was ich sagen sollte, und einen Moment lang starrte ich LaGuerta nur an. Sie erwiderte den Blick, ohne zu blinzeln, die Fänge leicht entblößt wie eine Raubkatze, die versucht sich zu entscheiden, ob sie mit dir spielen oder dich fressen will. Mir fiel keine Bemerkung ein, die nicht mit einem Stottern begonnen hätte, und sie schien nur daran interessiert, mich zu beobachten. So standen wir eine ganze Weile einfach nur da. Endlich brach sie das Eis mit einem kleinen Scherz.
    »Was ist da drin?«, fragte sie und wies mit dem Kopf auf den ungefähr hundert Meter entfernten Zaun.
    »Warum, Detective?«, sprudelte ich hervor, in der Hoffnung, ihr möge nicht auffallen, was sie soeben gesagt hatte. »Was machen Sie hier?«
    »Ich bin Ihnen gefolgt. Was ist da drin?«
    »Da drin?«, fragte ich. Ich weiß, keine besonders geistreiche Erwiderung, aber ehrlich, die guten Antworten waren mir soeben ausgegangen, und man konnte unter diesen Umständen wirklich nicht erwarten, dass ich mir eine bessere einfallen ließ.
    Sie legte den Kopf auf die Seite und streckte die Zungenspitze hinaus, fuhr sich damit über die Unterlippe; langsam nach links, rechts, links und dann wieder zurück in den Mund. Dann nickte sie. »Sie müssen mich für blöd halten«, bemerkte sie. Und natürlich hatte mich dieser Gedanke ein oder zwei Mal flüchtig gestreift, aber es schien nicht besonders höflich, dies zu erwähnen. »Aber eines dürfen Sie nicht vergessen«, fuhr sie fort. »Ich bin ein richtiger Detective, und das hier ist Miami. Was glauben Sie, wie ich das geworden bin, hä?«
    »Ihr Aussehen?«, fragte ich und schenkte ihr ein blitzendes Lächeln. Ein Kompliment an eine Frau ist nie verkehrt.
    Sie zeigte mir ihr reizendes Gebiss, das im Licht der Argon-Lampen sogar noch strahlender schimmerte. »Das ist gut«, meinte sie und verzog ihre Lippen zu einem seltsamen Halblächeln, das ihre Wangen einfallen und sie älter wirken ließ. »Das ist die Art Scheiße, auf die ich hereingefallen bin, als ich noch glaubte, dass Sie mich mögen.«
    »Ich mag Sie, Detective«, versicherte ich ihr vielleicht ein wenig zu eilfertig. Sie schien mich nicht zu hören.
    »Aber dann werfen Sie mich in den Mülleimer wie irgendeine lästige Nutte, und ich frage mich, was stimmt nicht mit mir? Habe ich Mundgeruch? Aber dann überkommt mich eine Erleuchtung. Es liegt nicht an mir. Es liegt an Ihnen. Mit Ihnen stimmt etwas nicht.«
    Natürlich hatte sie Recht, aber es tat trotzdem weh.
    »Ich … was wollen Sie damit sagen?«
    Sie schüttelte wieder den Kopf. »Sergeant Doakes würde Sie am liebsten umbringen und weiß nicht einmal, warum. Ich hätte auf ihn hören sollen. Mit Ihnen stimmt etwas nicht. Und Sie stehen in irgendeiner Verbindung zu diesem ganzen Nuttenkram.«
    »In Verbindung – was soll das heißen?«
    Diesmal lag in dem Lächeln, das sie mir zeigte, eine gewisse wilde Freude und der Hauch eines Akzents schlich sich zurück in ihre Stimme. »Den Gerissenen zu spielen heben Sie sich lieber für Ihren Anwalt auf. Und vielleicht für den Richter. Ich glaube nämlich, ich habe Sie jetzt.« Sie sah mich einen Moment mit dunklen glitzernden Augen an. Sie wirkte so unmenschlich, wie ich war, und das jagte mir einen kleinen Schauer über den Nacken – hatte ich sie wirklich unterschätzt? War sie wirklich so gut?
    »Und deshalb haben Sie mich beschattet?«
    Mehr Zähne. »Das ist richtig, ja«, bestätigte sie. »Warum sehen Sie dauernd zum Zaun hinüber? Was ist da drin?«
    Ich bin sicher, dass ich unter normalen Umständen vorher daran gedacht hätte, aber ich plädiere auf Zwang.
    Bis zu diesem Moment war es mir einfach nicht aufgefallen. Aber als es geschah, war es wie ein kleines, blendendes Licht, das aufloderte. »Wann haben Sie damit begonnen? Bei mir zu Hause? Um welche Uhrzeit?«
    »Warum wechseln Sie dauernd das Thema? Da drin ist etwas, ja?«
    »Detective, bitte – es könnte wichtig sein. Wann haben Sie begonnen, mir zu folgen?«
    Sie musterte mich eine Weile und mir ging auf, dass ich sie tatsächlich unterschätzt hatte. An dieser Frau war weitaus mehr als nur politischer Instinkt. Sie hatte wirklich etwas Besonderes. Ich war noch immer nicht überzeugt, dass auch Intelligenz dazu gehörte, aber sie besaß Geduld, und gelegentlich war das bei ihrer Arbeit wichtiger als Gerissenheit. Sie war

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