Des Todes Dunkler Bruder
bereit, einfach zu warten und mich zu beobachten und ihre Fragen zu wiederholen, bis sie eine Antwort erhielt. Und dann würde sie vermutlich dieselben Fragen noch ein paar Mal stellen, warten und weiter beobachten, um herauszufinden, was ich tun würde. Gewöhnlich konnte ich sie austricksen, aber ich konnte sie nicht aussitzen, nicht heute Abend.
Deshalb setzte ich meinen demütigsten Ausdruck auf und wiederholte mich. »Bitte, Detective …«
Sie streckte erneut die Zunge hinaus und zog sie schließlich wieder ein. »Okay«, sagte sie. »Nachdem Ihre Schwester seit Stunden verschwunden war und keiner wusste, wohin, begann ich zu glauben, dass sie vielleicht hinter etwas her war. Und da ich weiß, dass sie alleine nichts kann, wohin würde sie gehen?« Sie zog eine Augenbraue hoch und redete dann in irgendwie triumphierendem Tonfall weiter. »Zu Ihnen nach Hause, natürlich! Um mit Ihnen zu reden!« Sie nickte heftig, erfreut über ihre deduktive Logik. »Und dann dachte ich eine Weile über Sie nach. Wie Sie immer auftauchen und sich umschauen, auch wenn Sie nicht dazu gezwungen sind. Wie Sie gelegentlich diese Serienkiller einschätzen können, nur diesen nicht. Und außerdem darüber, wie Sie mich mit dieser blöden Liste angeschissen, mich als dumm hingestellt haben, mich weggeworfen haben –«
Ihr Gesicht verhärtete sich, eine Sekunde sah sie alt aus.
Dann lächelte sie und fuhr fort. »Ich äußerte etwas in dieser Art im Büro, und Sergeant Doakes meinte, er hätte mich ja gewarnt, aber ich hätte nicht auf ihn gehört. Und ganz plötzlich ist es Ihr großes hübsches Gesicht, das an jeder Ecke auftaucht, und das sollte es nicht.« Sie zuckte die Achseln. »Und deshalb bin ich zu Ihnen gefahren.«
»Wann? Um welche Uhrzeit, wissen Sie das noch?«
»Nein«, sagte sie. »Aber ich war erst zwanzig Minuten da, als Sie herauskamen, mit der idiotischen Barbiepuppe spielten und dann hierher fuhren.«
»Zwanzig Minuten …« Demnach war sie nicht früh genug da gewesen, um sehen zu können, wer oder was Deborah verschleppt hatte. Und sie sagte ziemlich wahrscheinlich die Wahrheit und war mir einfach gefolgt, um herauszufinden – um was herauszufinden?
»Aber warum sind Sie mir überhaupt gefolgt?«
Sie zuckte die Achseln. »Sie haben etwas mit dieser Sache zu tun. Vielleicht haben Sie es nicht getan, ich weiß es nicht. Aber ich werde es herauskriegen. Und einiges von dem, was ich finde, wird an Ihnen kleben bleiben. Was ist dort drin, in den Containern? Werden Sie es mir verraten, oder bleiben wir einfach die ganze Nacht hier stehen?«
Auf ihre Weise hatte sie den Finger genau auf den wunden Punkt gelegt. Wir konnten nicht die ganze Nacht hier stehen bleiben. Ich war überzeugt, dass wir nicht mehr viel länger stehen bleiben konnten, bevor Deborah furchtbare Dinge zustießen. Wenn sie nicht schon passiert waren. Wir mussten gehen, jetzt sofort, losgehen, ihn finden und aufhalten. Aber wie sollte ich das machen mit LaGuerta an meiner Seite? Ich fühlte mich wie ein Komet mit unerwünschtem Schweif.
Ich holte tief Luft. Rita hatte mich einmal zu einem Workshop für New-Age-Gesundheitsbewusstsein mitgeschleppt, bei dem besonderer Wert auf die reinigende Kraft der Atmung gelegt wurde. Ich atmete ein. Ich fühlte mich danach nicht wesentlich reiner, aber immerhin setzte sich dadurch mein Gehirn wirbelnd in Bewegung, und mir wurde klar, dass ich etwas tun musste, was ich nie zuvor getan hatte – die Wahrheit sagen. LaGuerta starrte mich noch immer an und wartete auf eine Antwort.
»Ich denke, dass der Killer dort drin ist«, sagte ich LaGuerta. »Und ich glaube, er hat Officer Morgan.«
Reglos musterte sie mich einen Moment. »Okay«, sagte sie schließlich. »Und deshalb haben Sie an dem Zaun gestanden und hinübergeschaut? Weil Sie Ihre Schwester so sehr lieben, dass Sie zuschauen wollen?«
»Weil ich hineinwollte. Ich habe nach einem Weg durch den Zaun gesucht.«
»Haben Sie vergessen, dass Sie für die Polizei arbeiten?«
Nun, da war es. Sie war sogleich zum Kern des Problems vorgedrungen, und das ganz allein. Darauf wusste ich wirklich keine überzeugende Antwort. Die Wahrheit zu sagen scheint nie ohne unerfreuliche Begleiterscheinungen abzugehen. »Ich wollte – ich wollte ganz sichergehen, bevor ich großen Wirbel veranstalte.«
Sie nickte. »Mhm. Das ist wirklich gut«, meinte sie. »Aber jetzt sage ich Ihnen, was ich wirklich glaube. Entweder haben Sie selbst etwas Schlimmes getan oder Sie
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