Désirée
Erregung.
Die Flügeltüren zum Salon wurden aufgeschlagen. Josefina hatte die Kinder mitgebracht. Der dreijährige Carl stürzte auf mich zu und blieb dann erschrocken stehen. »Das ist nicht Großmama, das ist eine Königin«, wisperte er und strich scheu über den Purpurmantel. Josefina in rosa schillerndem Samt hielt mir den Säugling Oscar entgegen. Ich nahm das Kind in meine Arme, es war wundersam warm und hatte erstaunte blaue Augen und beinahe keine Haare. Auch für dich, dachte ich, auch für dich lasse ich mich krönen, du zweiter Oscar …
Das dumpfe Brausen vor den geschlossenen Fenstern erinnerte mich an die Nacht, in der die vielen Fackeln in der Rue d’Anjou gelodert hatten. Ich hörte Jean-Baptiste fragen: »Warum öffnet man nicht die Fenster?« und »Was rufen sie denn herauf? Was schreien sie unten?« Aber ich wusste bereits – es war Französisch, meine Schweden wollten, dass ich sie verstand, sie erinnerten sich, was sie einst über jene Nacht gelesen hatten, sie jubelten »Notre Dame de la Paix«, und ich reichte Josefina schnell den Säugling, weil ich plötzlich zu zittern begann.
Was weiter geschah, spielte sich wie in einem Traum ab. Wahrscheinlich verließen die Pagen und Herolde bereits das Schloss. Wahrscheinlich folgten hinter ihnen dieMinister und die norwegischen Gesandten. Als wir die Marmortreppe hinunterkamen, sahen wir gerade noch die Grafen Brahe und von Rosen mit den Reichsinsignien. Von Rosen suchte meine Augen, und ich nickte unmerklich und dachte an die Fahrt von Malmaison nach Paris und an Villatte …
Da verließen schon die beiden feierlich langsam das Schloss. Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich die Koskull in blauer Toilette, die Krone auf dem Samtkissen schimmerte, die Koskull sah sehr glücklich aus und war so stolz darauf, dass man sie nicht vergessen hatte, und wusste nicht, wie verblüht sie wirkte. Dann stiegen Josefina und Oscar in einen offenen Wagen. Und ganz zuletzt fuhr die vergoldete Kalesche der Majestäten vor.
»Ich komme als Letzte zur Kirche, wie eine Braut«, sagte ich noch. Da schlugen schon von beiden Seiten Jubelrufe über uns zusammen. Ich sah, dass Jean-Baptiste lächelte und winkte, und wollte selbst lächeln und winken und war wie erstarrt. Denn sie schrien mir zu, mir ganz allein, sie schrien: »Länge leve Drottningen – Drottningen –«, und ich spürte, dass ich schon jetzt weinen musste und konnte es nicht ändern.
Vor der Kirche ordnete Jean-Baptiste selbst die Falten meines Purpurmantels und geleitete mich zum Portal. Dort erwartete mich der Erzbischof mit allen Bischöfen von Schweden. »Gesegnet sei jene, die im Namen des Herrn kommt«, waren seine Worte. Dann brauste die Orgel auf, und ich konnte erst wieder richtig denken, als mir der Erzbischof die Krone aufsetzte. Wie schwer ist sie, dachte ich, so schwer …
Es ist spätnachts, und alle glauben, dass ich längst schlafen gegangen bin, um mich für die großen Feste auszuruhen, die morgen und übermorgen zu Ehren der Königin Desideria von Schweden und Norwegen abgehaltenwerden. Aber ich wollte noch einmal in mein Buch schreiben. Wie seltsam, dass ich gerade an der letzten Seite angelangt bin. Einst bestand es aus lauter leeren weißen Blättern und lag auf meinem Geburtstagstisch. Ich wurde damals vierzehn Jahre alt und wollte wissen, was ich denn aufschreiben sollte. Und Papa hat mir geantwortet: »Die Geschichte der französischen Bürgerin Bernadine Eugénie Désirée Clary.«
Papa, ich habe die ganze Geschichte aufgeschrieben und nichts mehr hinzuzufügen. Denn die Geschichte dieser Bürgerin ist jetzt zu Ende und die der Königin beginnt. Ich werde nie begreifen, wie das alles gekommen ist. Aber ich verspreche dir, Papa, alles daranzusetzen, um dir keine Schande zu machen, und nie zu vergessen, dass du dein Leben lang ein sehr angesehener Seidenhändler gewesen bist.
Über das Buch
»Ich glaube, eine Frau kann viel leichter bei einem Mann etwas erreichen, wenn sie einen runden Busen hat. Deshalb habe ich mir vorgenommen, mir morgen vier Taschentücher in den Ausschnitt zu stopfen …«
So beginnt Annemarie Selinkos großer historischer Roman, das fiktive Tagebuch der Désirée Clary, Seidenhändler-Tochter aus Marseille, die es tatsächlich zu etwas bringen und in die Weltgeschichte eingehen sollte. Sie war die erste Verlobte Napoleons, heiratete später den französischen Marschall Bernadotte, lebte in der Gunst des Kaisers in Paris und verließ Frankreich
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