Désirée
weit!«, fuhr Jean-Baptiste auf. Aber ich beruhigte ihn. »Lass ihn doch aussprechen, Jean-Baptiste! Was meinst du, Liebling?«
»Die katholische Kirche erkennt die bürgerliche Eheschließung nicht an. Hast du Papa in einer Kirche geheiratet oder auf dem Standesamt?«
»Auf dem Standesamt, nur auf dem Standesamt!«, versicherte ich. Ein Stein fiel mir vom Herzen. »Da hast du gleich eine Sünde, Mama, sogar eine große und jahrelange. So – und jetzt musst du dich beeilen!« Wir kamen noch rechtzeitig zur Beichte und kehrten atemlos vor Eile zurück. In meinen Salons war schon der ganze Hofstaat versammelt. Schnell umziehen. Ich lief an allen Hofknicksen vorbei. »Tante, du hast nur noch sehr wenig Zeit«, sagte Marceline in meinem Boudoir. Und meine Marie – alt, krumm und entschlossen – riss mir die Kleider vom Leib. Yvette warf mir den Frisiermantel um. »Lasst mich allein, bitte lasst mich einen Augenblick allein«, bettelte ich. »Tante, der Erzbischof wartet vor der Kirche«, warnte mich Marceline noch. Dann verschwand sie endlich. Wenn man eitel ist und sein Gesicht jeden Tag im Spiegel betrachtet, dann erschrickt man nicht, weil man altert. Es kommt so nach und nach. Ich bin neunundvierzig Jahre alt und habe so viel gelacht und so viel geweint, dass ich vielekleine Fältchen um die Augen habe. Und zwei Linien, die zu den Mundwinkeln führen. Damals, als Jean-Baptiste die Schlacht bei Leipzig schlug … Ich rieb etwas Rosencreme auf meine Stirn und Wangen. Strich mit einer kleinen Bürste über die Augenbrauen, die mir Yvette zur schmalen Linie zupft. Dann legte ich goldene Schminke auf die Augenlider. Alles genauso, wie es mir la grande Josephine geraten hat … Wie viele Schreiben und Deputationen aus allen Teilen des Landes angekommen sind! Als ob Schweden seit Jahren auf meine Krönung gewartet hätte. Jean-Baptiste kann es nicht verstehen. Glaubt er wirklich, dass es genügt, mit ihm verheiratet zu sein, um eine Königin zu werden? Weiß er nicht, dass diese Krönung mein Jawort bedeutet? Jean-Baptiste, es ist das Versprechen einer Braut. Diesmal werde ich es sogar in einer Kirche geben und vor einem Altar geloben, in guten und bösen Tagen die Treue zu halten und zu dienen … Und weil eine Braut jung und schön sein soll, lege ich viel Rouge auf. Die Menschenmassen in den Straßen haben sich schon um fünf Uhr früh aufgestellt, um mich vorbeifahren zu sehen. Ich möchte sie nicht enttäuschen. Die meisten Frauen dürfen mit achtundvierzig Jahren aufhören, jung zu sein. Ihre Kinder sind erwachsen und ihre Männer am Ziel. Sie dürfen wieder sich selbst gehören. Nur ich nicht. Ich fange erst an. Aber ich kann ja nichts dafür, dass ich eine Dynastie gegründet habe … Ich nahm zartbraunen Puder und puderte meine Nase so stark wie nur möglich. Wenn die Orgel aufklingt, werde ich weinen, ich weine nämlich immer bei Orgelmusik. Und dann wird meine Nase rot. Wenn ich nur ein einziges Mal – nur heute – wie eine Königin aussehen könnte! Ich habe solche Angst … »Wie jung du bist, Désirée – kein einziges graues Haar!« Jean-Baptiste stand hinter mir, Jean-Baptiste küsste mein Haar. Ich musste lachen. »Viele graue Haare, Jean-Baptiste, aberzum ersten Mal gefärbt. Gefällt es dir?« Keine Antwort. Ich sah mich um. Jean-Baptiste trug den schweren Hermelinmantel, und um die Stirn spannte sich der Reifen der Krone der Könige von Schweden. Sehr fremd, sehr groß erschien er mir plötzlich – nicht mehr mein Jean-Baptiste, sondern Carl XIV. Johan. Der König … Der König starrte das vergilbte Flugblatt an der Wand an. Er hatte es noch nicht gesehen, es ist lange her, dass er in meinem Boudoir war. »Was hängt da, kleines Mädchen?«
»Ein altes Zeitungsblatt, Jean-Baptiste. Das allererste, das die Menschenrechte verkündet hat.« Steile Falte zwischen den Brauen. »Mein Vater hat es vor vielen Jahren gekauft. Es war noch feucht … Ich habe den Text auswendig lernen müssen. Jetzt verleiht mir dieses vergilbte Blatt Kraft. Und ich brauche Kraft, weißt du, ich –« Tränen rannen über mein frisch geschminktes Gesicht. »Ich bin doch nicht zur Königin geboren.« Dann musste ich alle Tränenspuren überpudern. »Yvette!« Jean-Baptiste fragte: »Darf ich hier bleiben?«, und setzte sich neben den Toilettentisch. Yvette kam mit der Brennschere und begann meine Seitenlöckchen zu bearbeiten und in kleine Rollen zu legen.
»Vergessen Sie nicht, der Scheitel Ihrer Majestät muss ganz
Weitere Kostenlose Bücher