Deus Ex Machina - Teil 1: Thriller
Studentenverbindung zu schaffen gehabt? Ich blätterte ein wenig in den Seiten und überflog die ein oder andere Passage, ohne mir recht erklären zu können, was ich da eigentlich in Händen hielt. Hatte Frank über die Burschenschaft recherchiert? Sein Erzählstil wirkte wie ein Erlebnisbericht, aber das war völlig unmöglich – Deus Ex Machina genoss an der Uni den zweifelhaften Ruf einer Geheimgesellschaft. Nie und nimmer hätte Frank sich mit so einem Pennälerquatsch abgegeben.
Ich nahm mir vor, den Text zu einem späteren Zeitpunkt in Ruhe zu lesen, denn im Moment gingen mir wichtigere Dinge durch den Kopf.
Der Entschluss, wieder aus Evas Leben zu verschwinden, war unvermeidbar gewesen. Einer self fullfilling prophecy gleich, hatte mir am Morgen in ihrer Küche ein unrasiertes Gesicht entgegengegrinst, in das ich am liebsten hineingeschlagen hätte. Nicht aus Eifersucht, nein, sondern weil ich mich verraten fühlte. Die hämische Fratze gehörte Stefan Marcks – schillerndster Stern am Münsteraner Studentenfirmament, seit er mit seiner Magisterarbeit über den Einfluss der neuen Medien auf die Philosophie zunächst in Fachkreisen, später dann sogar in einer Talkshow im WDR-Fernsehen für Furore gesorgt hatte. Ob seine Denkansätze wirklich so radikal waren, habe ich nie begriffen, aber selbst mir als bekennendem Social-Media-Verweigerer war nicht entgangen, dass Marcks in puncto Networking ein wahrer Meister sein musste, der die ganze Klaviatur aus Facebook, Twitter und Co. virtuos zu spielen wusste. Marcks war ein Musterexemplar des akademischen Beaus. Mit seinen kurzgeschorenen braunen Haaren sah er aus wie eine schlechte Benjamin von Stuckrad-Barre-Kopie. Und genauso führte er sich auch auf. Wie ein Popstar.
Mitte letzten Jahres, Eva und ich waren noch liiert gewesen, hatten wir mal zusammen mit Frank eine Party bei Marcks besucht. Ich konnte mich noch gut erinnern, dass mir damals schleierhaft war, wie ein Student sich eine solche Wohnung leisten konnte. Hundertzwanzig Quadratmeter, verteilt auf zwei Ebenen, von denen die obere als Spielwiese für diejenigen diente, die gerne mal eine Nase zogen. Entweder hatte er im Lotto gewonnen oder er war von Beruf Sohn.
Frank und Stefan Marcks als Freunde zu bezeichnen wäre sicher übertrieben, aber die beiden hatten am selben Doktorandenkolloquium teilgenommen und sich auch regelmäßig privat getroffen, um einander bei den Recherchen zu helfen und ihre Dissertationen durchzugehen. Ich machte mich immer aus dem Staub, sobald eines dieser Treffen in unserer Wohnung stattfand. Und jetzt, nur einen Tag nach Franks Tod, vögelte dieser Dreckskerl meine Exfreundin. Mir graute bei der Vorstellung, Marcks´ Visage bei Franks Beerdigung sehen zu müssen.
Der Tee beruhigte meinen Magen einigermaßen.
Ich stellte das Radio an, um die Dreiuhrnachrichten auf Antenne Münster zu hören. In ihrem Bericht von der Pressekonferenz umschrieb die Sprecherin den Mord an Pape als Tat eines drogenabhängigen, achtundzwanzigjährigen Studenten, der am vergangenen Freitag Selbstmord begangen habe. Franks Name und seine Videobotschaft wurden nicht erwähnt.
Es war an der Zeit, dass ich wieder etwas Handfestes zu mir nahm. Ich kramte die letzte Pizza aus dem Kühlfach und heizte den Backofen vor. Blieb noch auf eine Zigarettenlänge in der Küche sitzen, bis das rote Lämpchen am Herd erlosch, legte die Pizza auf den Rost und marschierte wieder in Franks Zimmer.
Obwohl ich alle Fenster geöffnet hatte, stank es noch immer nach Reinigungsmittel. Ich setzte mich auf das Sofa, das jetzt, der Decke beraubt, wie ein Fremdkörper wirkte, und ließ den Blick im Raum umherschweifen. Drei massive Bücherregale nahmen die gegenüberliegende Wand in Besitz. Von einigen Dostojewski-, Hesse- und Kafka-Romanen abgesehen, enthielten sie ausschließlich Fachliteratur. In schöner Regelmäßigkeit hatte Frank versucht, mich zu einem Freund der Weisheit zu formen. Kein leichtes Unterfangen, hatte ich mich bei der Wahl meiner Studienfächer doch für eine eher bodenständige Kombination aus Politik, Geschichte und Angewandten Kulturwissenschaften entschieden - wenngleich ich gestehen muss, wegen meiner AStA-Aufgaben in den letzten Jahren nur selten einen Hörsaal von innen gesehen zu haben. An Franks geistigen Exerzitien war ich zwar stets interessiert, konnte aber wohl nie die Begeisterung aufbringen, die er sich erhofft haben mochte.
Mit einer Ausnahme: Franks Doktorarbeit über die
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