Deus Ex Machina - Teil 1: Thriller
ein leidiges Thema, Philip.“ Bernhard Laurenz verzog das Gesicht. „Dass wir überhaupt davon erfahren haben, war ein Zufall. Annette hat Frank einmal überrascht - das dürfte jetzt gut zwei Monate her sein -, wie er irgendwelche Pillen geschluckt hat. Wir haben immer über alles reden können, aber diesmal hat er abgeblockt. Mir gegenüber wollte er nur eingestehen, dass ihm der Stress mehr zu schaffen machte, als er gedacht hatte, und der Erwartungsdruck ihn manchmal körperlich und geistig an die Grenzen seiner Belastbarkeit trieb. Am Anfang haben wir das Ganze als Lappalie abgetan. Wie Eltern halt so sind.“
Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter. Franks hünenhaften Vater leiden zu sehen war ein beinahe surrealer Anblick.
„Aber dann hat er sich verändert, Philip. Er meldete sich kaum noch bei uns, und wenn wir ihn mal ans Telefon bekamen, war er merkwürdig verstört. Regelrecht abwesend. Als ob ihn irgendetwas beschäftigte. Ist dir das nie aufgefallen?“
„Er hat Tag und Nacht an seiner Dissertation gearbeitet“, gab ich zu bedenken. Doch jetzt, wo Bernhard es ansprach, wurde mir bewusst, dass Frank tatsächlich immer mehr zum zerstreuten Professor mutiert war. Ständig verlegte er Materialien, verpennte Termine, vergaß Dinge, über die wir kurz zuvor noch gesprochen hatten. Einmal war er mir sogar mit einem verkehrt herum angezogenen T-Shirt in der Mensa über den Weg gelaufen.
„Warum habt ihr nicht mit mir darüber gesprochen?“
„Wir hatten uns quasi schon entschlossen, dich einzuweihen und um Hilfe zu bitten, haben es aber aus Rücksicht auf Frank nicht getan. Es kam uns wie Verrat an unserem Sohn vor. Jetzt ist es zu spät.“
„Macht euch keine Vorwürfe, Bernhard. Was immer Frank angetrieben haben mag, es hatte nichts mit euch zu tun.“
Bernhard zog ein kariertes Taschentuch aus der Hosentasche und schnäuzte sich. „Danke, Philip. Ich weiß, wie du dich jetzt fühlen musst. Für Frank warst du wie ein Bruder.“
Er steckte das Taschentuch wieder weg und verlangsamte seinen Gang. „Ich habe mir die Videoaufnahme angesehen. Philip, ich weiß nicht, wer der Junge ist, der sich da die Pulsadern aufschneidet, aber es ist nicht mein Sohn. Das ist nicht Frank.“
„Die Polizei wollte mir das Video nicht zeigen, aber ich verstehe, was du meinst“, stimmte ich zu. „Ich kann ja noch so gerade glauben, dass Frank mit Drogen in Berührung geraten ist und dann nicht mehr die Finger davon lassen konnte. Aber er hat keinen Mord begangen. Irgendjemand hat da ein böses Spiel mit ihm getrieben.“
Bernhard kratzte sich am Kopf. „Seine Fingerabdrücke waren auf dem Messer.“
„Die Verstümmelungen haben erst später stattgefunden. Franks Fingerabdrücke beweisen keineswegs, dass er auch die tödliche Kopfverletzung verursacht hat. Vielleicht ist dieser Pape ja nur gestürzt.“
„Überleg doch mal, was du da sagst.“ Abrupt blieb er stehen und wäre beinahe mit einem Inline-Skater kollidiert. „Mein Sohn betritt die Wohnung eines Drogendealers. Aus einem uns nicht bekannten Grund stürzt dieser Pape und liegt mit eingeschlagenem Schädel auf dem Boden.“ Bernhard sprach jetzt leise und stockend. Es klang, als müsse er mit seinen Worten nicht mich überzeugen, sondern sich selbst. „Frank geht daraufhin zur Durchreiche, greift nach einem Messer und sticht dem leblosen Körper die Augen aus. Bist du noch zu retten, Philip? Glaubst du ernsthaft, dass ich mich bei dieser Vorstellung besser fühle?“
Ich schwieg und sah betreten zu Boden. Eine Wunde aufgerissen zu haben, die Franks Vater notdürftig geschlossen hatte, bereitete mir Schuldgefühle. Wenn ich mich schon katastrophal fühlte, wie musste es dann erst um ihn bestellt sein?
„Entschuldige“, seufzte er. „Ich weiß, du meinst es nur gut, aber lass uns bitte nicht mehr davon reden. Mit ein wenig Abstand wird auch der Schmerz nachlassen.“
„Glaub mir, Bernhard, ich wollte keine albtraumhaften Bilder heraufbeschwören. Meine eigenen Träume machen mir schon genug zu schaffen.“
„Schon gut, Philip. Mach dir keine Vorwürfe.“ Er lächelte. „Ich könnte jetzt einen Schnaps vertragen. Wie steht es mit dir?“
Gang nach Canossa
Am nächsten Morgen hatte ich die Domplatte schon zur Hälfte überquert, als ich schließlich doch noch unschlüssig stehen blieb. Bis zum Philosophischen Seminar wären es nur noch ein paar Schritte gewesen, aber je näher ich meinem Ziel kam, desto stärker überkamen mich
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