Deutsche Geschichte Von 1815-1870
ein Henkersknecht gegen die jungen Leute, die er persönlich haßte, und voll Wuth darüber, daß sie ihm nichts eingestehen wollten. Er ließ dieselben schlagen, mit Ketten belasten, er entzog ihnen die Nahrung, die Bücher, die nothwendigsten Geräthschaften – Wochen und Monate lang wurden sie zu keinem Verhöre geführt und was nutzten dem gegenüber ihre eigenen Klagen, die Vorstellungen der Väter oder Anverwandten, die Thränen der Mütter, Gattinnen und Schwestern? Nur wer es mit erlebt, kann es heute noch verstehen, wie es möglich war, daß dies sechs lange Jahre so fortgehen konnte, in der Residenz selbst, unter den Augen des Fürsten und seiner Beamten. Abgesehen von der gräßlichen und gänzlich unerlaubten Härte, die hier ausgeübt wurde, bildete dieser lange und unfruchtbare Prozeß zugleich die herbste Anklage gegen das geheime Gerichtsverfahren, welches allein eine so lange Untersuchungshaft möglich machte. Aber Niemand wagte sich darüber laut zu äußern, wenn er sich nicht gleichfalls verfolgt sehen wollte und erst dem Wahnsinn und dem Selbstmord gelang es, den furchtbaren Bann zu sprengen. Der junge Minnigerode, derselbe, welcher in Gießen im Jahre 1834 zuerst war verhaftet worden, verfiel in Irrsinn und mit unendlicher Mühe gelang es seinen einflußreichen Freunden und Verwandten, dessen Uebersiedelung in das Vaterhaus bei strengster Bewachung zu bewirken. Zur selben Zeit stellte es sich mit vollkommener Gewißheit heraus, daß der Untersuchungsrichter Georgi an Säuferwahnsinn litt und oft in diesem Zustande, unterstützt durch einen rohen Gefängnißwärter, sich gegen die Gefangenen in der gröbsten Weise verging. Trotz alledem hatte der Mann einen so festen Fuß bei der Regierung, daß man ihm nichts anhaben konnte, bis endlich die erschütternde Kunde laut ward, es habe sich im Arresthaus einer der politischen Gefangenen selbst entleibt. Es war dies der unglückliche Pfarrer
Weidig
, der, aufgerieben durch die Qualen des Kerkers, der Sehnsucht nach Frau und Kind, die man ihm kaum einmal, und dann nur im Beisein des Richters zu sehen gestattete, sowie auch durch schweres, körperliches Unwohlsein bedrängt, zu dem furchtbaren Entschlusse gekommen war, sein Leben selbst zu enden. Er zerschlug ein Arzneiglas und durchschnitt sich mit den Scherben die Schlagadern, sowie einen Theil des Kehlkopfes – so fand ihn, schon halb todt in Folge der Verblutung, am Morgen früh der Gefängnißwärter, aber anstatt schnell ärztliche Hülfe herbeizurufen, machte er zuerst Anzeige bei dem Untersuchungsrichter, der sich mit ihm nach dem Gefängniß begab. Erst einige Stunden später wurde nach Aerzten geschickt, als bereits jede Hülfe zu spät kam. Ein dunkler Schleier, den wohl Niemand lüften wird, deckt diese ganze, gräßliche Geschichte, bei der vielfach ein Verbrechen vermuthet wurde; wenigstens nahm man an, es sei dem begonnenen Unheil in verbrecherischer Weise nachgeholfen worden, weil die Todten nicht mehr reden können. Wirklich starb Weidig noch am selben Tage an den erhaltenen Wunden, doch wird man die Wahrheit wohl da finden, wo sie zunächst zu suchen ist, in einer Fahrlässigkeit des Richters und seines Untergebenen, die in der Angst eines erschrockenen Gewissens jedenfalls zu lange zögerten, Beistand herbeizuholen, und sich dadurch dem schlimmsten Verdachte aussetzten. – Weidig's Tod, an dessen Körper die Aerzte die Spuren vielfacher Mißhandlungen fanden, wurde die Erlösung der Uebrigen; ein Schrei des Entsetzens und der Theilnahme ging durch ganz Deutschland bei der Kunde des Trauerspiels in dem Darmstädter Arresthause und Georgi – den man übrigens zuvor decorirte, zum Hofgerichtsrath machte und später auch in die Kammer wählen ließ, wurde jetzt endlich beseitigt. Es ist wohl unzweifelhaft, daß eine höhere Hand, als die der hessischen Regierung, ihn aufrecht hielt. Ein humanerer Richter brachte die Gefangenen jetzt schnell zu einem umfassenden Geständniß und die unglücklichen Opfer des geheimen Gerichtsverfahrens wurden nun ihres Gefängnisses entlassen, indem man ihnen die Untersuchungshaft als Strafe anrechnete. Gestraft waren sie wirklich mehr als genug, gebrochen an Leib und Seele, ohne bürgerliche Stellung, die sie sich dann meist im Auslande, in der Schweiz, in Amerika, in Frankreich suchen mußten, – die Reihen derjenigen vermehrend, die in der Verbannung lebten, und denen erst das Jahr 1848 die Möglichkeit einer Rückkehr in's Vaterland erschloß.
Nur
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