Deutsche Geschichte Von 1815-1870
gescheidt,
Trägt auch keinen Dolch verborgen unter seinem schlichten Kleid,
Oestreichs Volk ist's, ehrlich, offen, wohlerzogen auch und fein,
Sieh' es fleht ganz artig: Dürft' ich wohl so frei sein,
frei
zu sein?«
Man würdigt heute solche Gedichte natürlich nur dann noch ganz, wenn man die Zustände genauer kennt, auf die sie sich beziehen, aber man wird dann auch begreifen, daß in solcher Zeit der Dichter eine Macht repräsentirt. Da Keiner laut klagen durfte über die vielen Gefangenen, die in Deutschland und Italien in den Kerkern schmachteten, da ließ Grün in seinem
Schutt
, seiner bedeutendsten, größeren Dichtung einen gefangenen Dichter ausrufen:
»Zum Unglück reimt ich einmal auf:
Tyrannen
,
In einem Klinggedicht das Wort:
von Dannen
!
Ein andermal fiel mir auf
Senatoren
,
Kein andrer Reim just ein, als:
Midasohren
.
Die Reime traun sind reine, regeltreue,
Ich brauchte gleich sie wieder ohne Reue;
Doch meinten drauf die Herrn: auf mein Sonnette,
Gäb's keinen bess'ren Reim mehr, als:
die Kette
!«
Es möchte nach diesem Hinblick auf einen der bedeutendsten östreichischen Dichter wohl geeignet sein, einen Augenblick die historische Darstellung zu unterbrechen, um unsere Betrachtung der zeitgenössischen Literatur im Allgemeinen zuzuwenden. Diese war, namentlich in dem letzten Jahrzehnt vor Ausbruch der Märzrevolution, in vieler Hinsicht der Brennpunkt des öffentlichen Lebens. Je ärmer die Tagesgeschichte sich an bedeutenden Ereignissen zeigte, je weniger man es wagte ein lautes, offenes Wort zu reden, mit um so größerem Interesse verfolgte man die Preßprozesse, welche unsere Autoren trotz der Censur beständig durchzumachen hatten, heimlich gingen die angeschuldigten oft verbotenen Werke von Hand zu Hand, und bei andern, die in gar unschuldiger Form erschienen, bemühte man sich mit geheimer Schadenfreude, die versteckten Anspielungen auf gekrönte Häupter und mißliebige Regierungen heraus zu finden. Die Literatur war eine Großmacht, die langsam aber sicher den Boden des Bestehenden unterhöhlte und oft unversehens Blitze schleuderte, welche grell den Abgrund erhellten, dem Deutschland zueilte.
Zwei Männer sind es nun vornehmlich, welche seit der Mitte der Zwanziger Jahre die deutsche Literatur eben so sehr vom Boden des unfruchtbaren Klassicismus verdrängten, wie sie dieselbe den Nebeln des Romantismus entrissen und ihr neue Bahnen eröffneten. Beide waren Juden und sie mußten als Solche noch tiefer und bitterer, als die Andern, den unleidlichen Rückschritt zum Alten und Veralteten empfinden.
Aber gerade darum, weil man den Juden hartnäckig von jeder Theilnahme an den Obliegenheiten des Staates ausschloß, gab man ihm zugleich dem Staate gegenüber eine unabhängige Stellung, die ihn ganz vorzüglich dazu eignete, im Verein mit der Bildung, die er sich ungehindert erringen mochte, zum Sauerteige des öffentlichen Lebens zu machen. Man konnte den Juden nicht absetzen, nicht belästigen und verfolgen, wie es als Strafmittel bei Denen geschah, die in dem vielfachen Getriebe des Staats- oder Gemeindelebens ihren Erwerb, ihre Versorgung fanden, und die man sich nach Kräften bemühte, aus Staatsdienern zu Staatsbedienten herabzusetzen. War der Jude somit unabhängiger, so hatte er doch auch daneben das nagende und erbitternde Gefühl, von jeder lebendigen Theilnahme am Staatswesen, jeder Stellung in der Gesellschaft ausgeschlossen zu sein, wenn er sich nicht einem Religionswechsel unterzog, und selbst dann noch blieb er immer der getaufte Jude. Fast das einzige Gebiet, auf dem sich der Gebildete, außer auf dem des Handels oder der Arzneikunde frei bewegen konnte, war das der Presse, der Schriftstellerei, und dahin drängten sich denn die talentvollen Köpfe in Menge. Von dort konnte sie Keiner verjagen noch verfolgen, insofern sie die schwierigen Preß- und Censurgesetze zu umgehen wußten, und dazu half ihnen trefflich ihr jüdischer esprit, der zwischen den Zeilen Alles lesen ließ, was man eigentlich sagen wollte, ohne daß der Urheber eine zu große Gefahr dabei lief. Unter diesen Verhältnissen erlangten jetzt die beiden jüdischen Schriftsteller, L.
Börne
und H.
Heine
einen Einfluß auf die öffentliche Meinung und die jüngere Schriftstellergeneration, der wahrhaft enorm genannt werden muß. –
Levy Baruch
, der spätere Ludwig Börne (er trat als erwachsen zum Christenthume über), wurde 1786 in der Frankfurter Judengasse geboren. Seine Erziehung war
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