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Deutsche Geschichte Von 1815-1870

Titel: Deutsche Geschichte Von 1815-1870 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luise Buechner
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stoßen!«
    In solch unklarer und überspannter Weise mischte er nun beständig religiöse Dinge, Vaterlandsliebe und seinen finstern Mordgedanken durcheinander, bis derselbe zum Entschluß und zur Reife, unter dem Eindruck der Stourdza'schen Schrift und dem, was ihr folgte, gedieh. Am 9. März 1819 verließ er Jena, um zu Fuß nach Mannheim zu gehen, wo Kotzebue damals wohnte. Er hielt sich unterwegs öfters auf, auch in Darmstadt, wo er Freunde hatte, deren Einer ihn begleitete und ihm in der Eberstädter Tanne, auf sein Begehren, die langen blonden Haare abschnitt. Erst am 23. März 1819 kam er in Mannheim an, und ließ sich gleich bei dem Herrn v. Kotzebue, unter dem Namen Heinrichs aus Mitau, als einen Landsmann melden. Als wolle ihm das Schicksal noch einmal Zeit zum Ueberlegen gönnen, so traf es sich, daß Kotzebue ausgegangen war, und man ihn auf 5 Uhr wieder bestellte. Sand traf pünktlich ein und Kotzebue empfing ihn mit der Frage: »Sie sind aus Mitau?« Darauf trat Sand dicht auf ihn zu, zog den bereit gehaltenen Dolch aus dem linken Rockärmel und mit den Worten: »Ich rühme mich Ihrer gar nicht!« versetzte er Kotzebue mehrere Stiche in die linke Seite, dabei ausrufend: »Hier, Du Verräther des Vaterlandes!« – Wie einst Marat unter einer Frauenhand, so sank auch Kotzebue fast lautlos todt zusammen, während sein vierjähriger Knabe, der herein gekommen war, ein lautes Jammergeschrei erhob. Sand hatte nach Frankreich entfliehen wollen, das Weinen des Kindes rührte sein Gewissen und er versetzte sich zur eignen Sühne einen Stich in die Brust, als er die Treppe hinablief. Damen, die sich bei Frau von Kotzebue zu Besuch befanden, rissen das Fenster auf, und riefen auf die Straße hinab, man solle den Mörder festhalten. Da warf sich Sand vor dem sich ansammelnden Volk auf die Knie und indem er ausrief: »Hoch lebe mein deutsches Vaterland und im Volke Alle, die den Zustand der reinen Menschheit zu fördern streben!« fließ er sich den Dolch noch einmal tief in die Brust, bis er darin stecken blieb. So wurde er halb verblutet, fast bis zum Tode erschöpft, verhaftet, und in das Krankenhaus gebracht, wo er durch ärztliche Pflege wieder einem traurigen Dasein zurückgegeben wurde, um bald der Gegenstand einer peinlichen Untersuchung zu werden, die um jeden Preis Mitwisser und Mitschuldige, sowie die Zweige einer tiefgehenden, weitverzweigten Verschwörung herausfinden wollte, und doch nicht finden konnte, weil Beides nicht vorhanden war. – Wie ein Donnerschlag wirkte die Nachricht von Kotzebue's Ermordung in ganz Deutschland, wo man allgemein die That an und für sich zwar verdammte, und doch fast überall, namentlich von Seiten der Jugend die Motive dafür groß und erhaben fand. Die jugendlichen Feuerköpfe erklärten offen, Sand habe nur dem Ausdruck gegeben, was in unendlich vielen Herzen lebe – dem Abscheu vor Unterdrückung der Freiheit und der Einmischung des Fremden. Der berühmte Kanzelredner
de Wette
schrieb einen, großes Aufsehen erregenden Trostbrief an Sand's Mutter, in welchem er die That ein schönes Zeichen der Zeit nannte, wenn man sie nach ihren
sittlichen Motiven
beurtheile und
Görres
bezeichnete die öffentliche Meinung als: Mißbilligung der Handlung, bei Billigung der Beweggründe! –
    Es war in der That ein charakteristisches Zeichen von der Schwäche der deutschen Regierungen und ihrer undeutschen Gesinnungen gewesen, daß dieser Deutschrusse Jahre lang und öffentlich in russischen Diensten stehend, den Berichterstatter für seinen Hof machen durfte. Man hätte es ihm schon längst höflich verbieten müssen, und die Entrüstung in der Nation über solche Einmischung Rußlands kam Sand's That zu Gute. Aber leider kam sie auch denen zu Gute, die nur auf einen Anlaß warteten, die
Reaction
unverhüllt auftreten zu lassen. Als Fürst Hardenberg, gerade bei Tafel sitzend, die Nachricht von Kotzebue's Ermordung empfing, war sein erstes Wort: »Nun ist die Verfassung unmöglich!« Er hatte gerade eben W. v. Humboldt zur Mitwirkung an einer solchen berufen, man hatte endlich Ernst damit machen wollen. Jetzt bemächtigten sich die Ohrenbläser und Denuncianten der ängstlichen und mißtrauischen Seele des Königs, der so wenig die Stimmung in der Nation zu beurtheilen vermochte, daß er Kotzebue in Berlin eine theatralische Todtenfeier veranstalten ließ. Aber noch schlimmer sollte Alles werden, als im Juli ein gewisser
Karl Löhning
, ein junger Apotheker, in Schwalbach einen

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