Deutsche Geschichte Von 1815-1870
damals sehr ernst gemeint waren, und noch als eine Nachwirkung der Gräuel der französischen Revolution bezeichnet werden müssen. Man glaubte in jeder selbstständigen Regung des Volksgeistes schon das erste Zucken einer furchtbaren Umwälzung zu sehen, und konnte sich noch lange nicht zu der Einsicht bequemen, daß
Reformen
, zur richtigen Zeit ausgeführt, jedem Ausbruch roher Gewalt am sichersten zuvorkommen. Indessen zitterten noch Mächtigere als der Herr von
Kamptz
und sahen schon im Geiste das Messer der Guillotine über sich schweben, – Auch in Berlin hatte man den 18. October mit einer Turnfeier begangen; am Abend erschien in einer geschlossenen Gesellschaft Alles in altdeutscher d.h. mittelalterlicher Tracht, die damals Männer und Frauen mit Vorliebe trugen. Viele Turner waren zugegen und man ergoß sich denn auch in den zur Gelegenheit passenden Redensarten, wobei man wie auf der Wartburg gerne starke Ausdrücke gebrauchte, wie Tyrannen, Zwingburgen, Despotenlaunen u.s.w., was jedoch durchaus nicht so schlimm gemeint war. Diese Feier aber vermehrte noch die Angst in den oberen Regionen, und Preußen und Oestreich schickten ihre Minister nach Weimar und Jena, um die Sache zu untersuchen, sogar aus Frankreich traf eine ängstliche Note in Berlin ein und Rußland schickte den Herrn von Kotzebue nach Weimar, die Gährung in der Nähe zu beobachten, und derselben durch ein reactionäres Blatt, das er dort herausgab, das Gegengewicht zu halten. –
So groß war die Aufregung, daß selbst
Stein
, an den sich der bedrängte Karl August durch seinen Minister wenden ließ, mit der Bitte, den Aufruhr der Großmächte zu beschwichtigen, ohne daß er die Sache näher untersucht hatte, gegen die Jenenser Professoren losdonnerte. Beruhigte man sich denn auch endlich über das Fest, so zwang man doch jetzt den gütigen Fürsten förmlich dazu, sich gegen die freie Presse zu wenden, und zugleich die auf dem Feste beschlossene Burschenzeitung zu verbieten. – Von diesem Zeitpunkte an entwickelt sich nun eine steigende und sich immer mehr zuspitzende Opposition und Gehässigkeit zwischen der studirenden Jugend und jüngeren Männerwelt, und Allem was Regierung und Beamtenthum heißt. Von ihm datirt auch die nähere Verbindung der Burschenschaft mit den Turnern;
Jahn's Sprechweise
, sein Altdeutschthum wurde von den Ersteren mehr und mehr adoptirt. Sie wollten eine
eiserne Jugend
werden, trugen ein eisernes Kreuz an der Mütze, einen eisernen Orden am Knopfloch, eisenbeschlagene Schuhe und Stöcke, und spotteten im derben Burschenton über die Philister, die nicht spürten, »wie Wuotan's Odem braust, und über ihre Stubenpacht und Ofenwacht, die die Herzen weich gemacht.« Die Welt sollte wieder stark werden durch »Wanderfahrt und Turnerart,« – damit die Turner nach Follen's Wort: »Die Tempel der Erdengötter« stürzen konnten. Dabei versenkten sich die Bursche mehr mehr und in eine erkünstelte Schwärmerei für das Alte und Abgestorbene, dem sie eine neue Herrschaft erwecken wollten.
Auf solche Verirrungen gerathen eben naturgemäß selbst die besten und frischesten Geister, wenn sie sich im Leben der Gegenwart ihre berechtigten Ideale stets wieder entrückt sehen, und die schöne Wärme für das Vaterland nicht durch ein Wirken innerhalb gesetzlicher Kreise für dasselbe bethätigen dürfen. –
Ein schönes Blatt aber in der Geschichte dieses Jahres 1817 bildete im Gegensatz zu dem Erzählten das große
Reformationsfest
, welches überall in Deutschland auf's Festlichste begangen wurde, und bei dem sich überall eine Toleranz, eine geistige Freiheit in religiösen Dingen offenbarte, die wahrhaft herzerfreuend wirkte. Man faßte das Fest auf, als einen Weihetag der geistigen Freiheit und Aufklärung, und in unermeßlicher Mehrheit waren dabei die aufgeklärten Geistlichen vertreten. Zugleich zeigte sich der Sinn des Volkes als so tüchtig und gesund, daß wohlhabende Bürger oder Gemeinden diesen Gedenktag vielfach zur Gründung neuer
Lehr- oder
Wohlthätigkeitsanstalten
benutzten. In Preußen wurde das Fest von besonderer Bedeutung, weil in Berlin zugleich die
Union
der reformirten und protestantischen Confessionen sich vollzog, und in Wittenberg legte der König am 31. October den Grundstein zu einem Denkmale für
Luther
, welches sich seitdem dort in schöner Ausführung erhebt. Aber das erfreulichste Zeichen der Zeit war die tolerante Art und Weise, wie auch in den katholischen Ländern die Feier
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