Deutsche Geschichte Von 1815-1870
Verhältnisse, herbeigeführt wurde. Als Grundursache dieser Vorkommnisse waren angegeben: die
Schwäche des Bundes, die Zerrüttung von Religion und Presse
, namentlich aber die
Barbarei, die auf den Universitäten herrsche
. Diese Schrift, ein recht klarer Fingerzeig für das, was eine reactionäre Regierung zu thun habe, wurde denn auch vielfach besprochen, statt daß man die elende Denunciation einfach zu den Acten legte, und sie sollte denn auch in Wirklichkeit ihre schrecklichen Früchte tragen. Kaum wurde diese Schrift in Deutschland bekannt, als sich, und besonders unter der Jugend, die tiefste Entrüstung kund gab, über eine solche Einmischung des Fremden in die inneren Angelegenheiten des Vaterlandes: aber auch verständige, reife Männer gaben ihr vernichtendes Urtheil darüber ab. Zwei Jenenser Studenten, die Grafen
Buchholz
und
Keller
, forderten Stourdza, als den Beleidiger der deutschen Jugend, zum Duell heraus. Er entfloh von Weimar nach Dresden und bat von dort aus den Senat in Jena, man möge die Ausforderung zurücknehmen, er habe die Schrift auf Befehl seines
Kaisers gedacht, geschrieben
und
ausgeführt
! In Folge dieser Erklärung verzichteten die Studenten darauf, Genugthuung von einer »Denk-, Schreib- und Handlungsmaschine« zu verlangen. Desto grimmiger warf sich der Haß auf den Deutschrussen, den Staatsrath von
Kotzebue
, den bekannten Verfasser von unzähligen Lust und Rührstücken, welche ihrer Zeit die deutsche Bühne beherrschten. Man wußte, daß er geheimer Berichterstatter über die deutschen Zustände für Rußland sei, und er benahm sich jetzt unklug genug in seinem literarischen Wochenblatte, das in Weimar erschien, die Schrift von Stourdza für
officiell
und gerechtfertigt zu erklären. Dies entschied in der Seele eines jungen, fanatischen Mannes, das, Kotzebue schon länger bedrohende Schicksal.
Karl Ludwig
Sand
aus Wunsiedel, der frömmsten und reinsten Einer unter den Burschenschaftern, der als Fahnenträger dem Wartburgfeste beigewohnt batte, eine tiefe, innige, aber unklare Natur, bald erfaßt von mystischer religiöser Schwärmerei, bald wieder in das Gegentheil umschlagend, ergriff den unglückseligen Gedanken, eine große,
rettende That
zu vollbringen, Deutschland von dem »
Seelenvergifter
« Kotzebue zu befreien.
Man muß, um sich solche Handlungen einigermaßen zu erklären, immer den Geist der Zeit mit in Anschlag bringen, so bei Ludwig Sand, wie bei Charlotte Corday, und ebenso bei Beiden die politische Unklarheit und Unreife, die sie bei ihrem entsetzlichen Vorsatze nicht einmal nach den
richtigen
Häuptern zielen ließ, beklagen, so daß sie, ohne es zu wollen, aus ihren Opfern, aus
gemeinen
und
mittelmäßigen
Naturen Märtyrer machten. – Da hatte der Knabe Staps doch richtiger gesehen, als er einst in Schönbrunn das Messer gegen Napoleon selber erhob, und diese That war es auch, die unvergessen vor Sand's Geiste stand, wobei es bezeichnend ist, daß er schon in früher Jugend daran gedacht, ein Gleiches wie Staps zu versuchen. – Es ist bekannt, wie Sand's That durchaus nicht das Resultat einer Verschwörung gewesen, wozu man sie später gerne stempeln mochte, er hatte höchstens einen oder zwei Mitwisser, verläugnete aber standhaft einen Jeden. Seine Verbündeten, die man freilich nicht greifen konnte, waren die Stimmungen der Zeit, die sich bis zu dem Grade geltend machten, daß man lange vor Sand's That, bei einer Versammlung von jungen Leuten auf der Starkenburg an der Bergstraße im Sommer 1818, ausführlich darüber berathen konnte, ob nicht der
Zweck
das
Mittel
heilige, und ob nicht da, wo der Staat entweder nicht strafen könne oder nicht wolle, das Strafrecht des Einzelnen an die Stelle treten dürfe.
An solch abschüssiger Bahn von Rechts- und Begriffsverwirrung war man schon angekommen und mitten darauf befand sich der unglückliche Sand, als er seinen verhängnißvollen Entschluß faßte. –
Schon im Frühling 1818 kam ihm der Gedanke an den Mord; er schrieb in sein Tagebnch:
»Herr, mitunter wandelte mich heute wieder so eine wehmüthige Bangigkeit an; aber fester Wille, feste Beschäftigung löst Alles und das Vaterland schafft Freude und Tugend; unser Gottmensch Christus, unser Herr, er ist das Bild einer Menschlichkeit, die ewig schön und freudig sein muß. – Wenn ich sinne, so denke ich, es sollte doch Einer es muthig über sich nehmen, dem Kotzebue oder sonst einem solchen Landesverräther das Schwert in's Gekröse zu
Weitere Kostenlose Bücher