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Deutsches Elend. 13 Erklärungen zur Lage der Nation

Deutsches Elend. 13 Erklärungen zur Lage der Nation

Titel: Deutsches Elend. 13 Erklärungen zur Lage der Nation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Schmidt
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Ideale ? Seid Ihr ideal ? – : Ihr, die Ihr den röchelnden Tod von 50 Millionen mit dem Wort ›Heldenkampf‹ deckt (und schon den nächsten, durch Freie Wahlen, sorgsam für uns vorbereitet!);
: Ihr, die Ihr Eure asthmatische Sonnabendabend=Gymnastik als ›Liebe‹ bezeichnet;
: Ihr, die Ihr mit schmuddelig versagendem Körper, unrasiert, Euch ›gehen laßt‹ (und zumal im ›Schoß der Familie‹, ou peut=on être mieux, – wie wär'es mit einer ergänzenden Novelle zum 4. Gebot: daß Ihr Eure Söhne und Töchter ein bißchen behutsamer ehrtet ? Oder Euch zumindest weniger wundert, wenn man Euch an Euren Früchtchen erkennt?); : aber von uns, die wir Eure 100=, ja selbst Eure 5=Markscheine als gefälscht erkennen, verlangt Ihr echte?! .......«
    Stellen wir die Platte lieber ab. Aber im Vergleich mit ›Uns Älteren‹ schneiden die Teenager so schlecht gar nicht ab !
    Weniger melodramatisch ausgedrückt: die Meisten von uns sind nicht die Leute, die das Wort ›ideal‹ im Munde führen sollten. (Und daß es sich ausgerechnet auf ›real‹ reimt, ist ein rechter ironischer Sprachwitz.)
    * *
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    Ich meine, man sollte die ganze Frage überhaupt weit nüchterner auffassen.
    In jungen Jahren gibt es nur 1 Ideal : BERÜHMT SEIN! Und das ist so verschwommen und basislos, so ganz längeres Gedankenspiel, daß es gar nicht unernst genug genommen werden kann. Daran freilich, daß es sich so gern als ›Weltrekordmann‹ manifestiert, als ›berühmte Tänzerin‹, als ›Reichsmarschall‹, ›Rennfahrer‹, ›Filmstar‹, und wie die Nichtswürdigkeiten sonst noch alle heißen : daran sind die ›reiferen Jahrgänge‹ schuld. Wenn die nicht dergleichen Gaukler, Luftspringer, Totschläger, mit Beifall und Gagen überhäuften; vielmehr diese ›Ideale‹ mit der gebührenden Nichtachtung straften, und, im Wiederbetretungsfalle, mit 50 auf die Fußsohlen; und dafür andere, ›wirkliche‹ aufstellten und der Jugend schilderten – dann; tja dann würden wir vermutlich wohltuendere Fänomene heranzüchten, als jugendliche Dauertänzer, Rauschgiftler und Verbrecherbanden.
    Man versuche, den Teenagern faßlich zu machen, daß es sehr wohl Ideale gibt – z. B. der ›Große Dichter‹ ist eines (vielleicht das höchste; denn er formt und bildet das Gewissen der ganzen Gattung, indem er ihre jeweiligen dringendsten Anliegen, auch die dumpf und feige gefühlten, gültig ausspricht) – daß der Weg dorthin aber weder hastig erstürmt, noch träge=fleißig erträumt werden kann, sondern Jahrzehnte mühsamster, oft asketischer Arbeit erfordert. Eine Arbeit, während der sich der Körper eben unvermeidlich verbraucht und schmuddelig wird : nicht der Dichtermensch ist das Ideal – der ist meist nur ein schäbiger Rest, den man, es ist besser für alle Teile, lieber nicht behelligen sollte – sondern das Dichtwerk. Die Aufgabe läge also darin, der Jugend das ›Ideal‹ zu nehmen, daß man blutjung, geschmeidig & schön, und gleichzeitig ein ›Großer Mensch‹ sein könne.
    Wobei, wie gesagt, das Wichtigste die Definition eines ›Großen Menschen‹ ist: Der ist es jedenfalls nicht, der lieber ›kämpft‹ als arbeitet ! (Freilich ist Kämpfen weit einfacher.)
    Ansonsten freue man sich getrost an dem bunten Moreskenzug unser Teenager : laßt sie Radau machen – sie werden so jung sterben müssen !
    [1959]

DER SCHRIFTSTELLER UND DIE POLITIK
    Zwei Kreise sind es vor allem, die unablässig die Forderung nach dem Unpolitischen Schriftsteller erheben : der Staat und das Bürgertum. Von den Regierungen, ob rechts oder links des Eisernen, verwundert das nicht weiter; die wollen natürlich möglichst ungestört schalten. Und das Bürgertum will ›seine Ruhe‹; das heißt die jeweiligen paar Friedensjahre möglichst unerinnert-betäubt dahindröseln – anstatt das uns anscheinend einzig übriggelassene Mögliche zu versuchen (und jede Anstrengung in dieser Richtung zumindest mit seinem Beifall zu beehren), nämlich : die Pausen zwischen den Kriegen möglichst lang zu gestalten.
    Dabei hat es vor 150 Jahren ein Großer ungescheut dem Anderen verraten : »Ach was Schicksal ?! : Die Politik ist das Schicksal !«.
    Und wenn ich nun auch im Allgemeinen ein Gegner bin der wohllautenden Hypothese vom ›Dichterwort, das die Welt verändert‹ (wie ich ein Gegner jedes Unendlichkeitsfimmels überhaupt bin); und überdrüssig der ebenso unermüdlich wiederholten wie lächerlichen Einwendungen gegen ›gewisse politische und

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