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Deutsches Elend. 13 Erklärungen zur Lage der Nation

Deutsches Elend. 13 Erklärungen zur Lage der Nation

Titel: Deutsches Elend. 13 Erklärungen zur Lage der Nation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Schmidt
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längst wieder als ›entartete Kunst‹!
    Macht man sich denn in allen Kreisen keine Gedanken darüber :
    Warum wohl der große Einstein emigrieren mußte; und 45 nicht nach Deutschland zurückkehrte ?
    Warum Thomas Mann (der nach Europa zurückkam) mit nichten seinen Wohnsitz am Brunnquell westdeutschen Geistes, in Bonn, aufschlug; sondern lieber in der Schweiz blieb ?
    Warum Hermann Hesse – ich wähle, es ist dem Bürgertum eindrucksvoller, deutsche Nobelpreisträger – still in seinem Tessin bleibt ?
    Denn es genügt nicht ganz, wenn ein Land von sich rühmen kann, daß es die Wiege großer Männer war; es muß auch noch den Nachweis erbringen, daß es ihr Grab zeigen kann – und selbst das ist wertlos, wenn die verehrend dorthin Pilgernden immer wieder nach irgendeinem Buchenwald gewiesen werden !
    * *
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    »In Schönheit aufgelöste Trauer« ?? : Ich, 1 Deutscher, will Herrn Professor Doktor Muschg sagen, was Andersch's großes Buch von ›Sansibar‹ meiner Meinung nach ist:
    Eine, sachlich unwiderlegbare, Anklage gegen Deutschland. Eine Warnung, ›an Alle, die es angeht‹. Unterricht in (ja fast Anleitung zur) Flucht als Protest. Vorzeichen einer neuerlichen, nur durch ein Wunder noch aufzuhaltenden, Emigration aller Geistigkeit (aber wohin heute?!). Ein Mißtrauensvotum ersten Ranges gegen unser behäbig=aufgeblasenes ›Volk der Mitte‹.
    Kompositorisch ausgezeichnet; sprachlich bedeutend über dem Durchschnitt.
    [1957]

WÜSTENKÖNIG IST DER LÖWE
    Ich will hier nicht gegen die orientalisierenden Bramarbasse losziehen, die uns Ende des vergangenen Jahrhunderts in der Literatur bedeutendes Aufsehen erregten – nichts gegen Freiligrath und seine Staffage aus Mohrenkönigen und toll gewordenen Giraffen; nichts gegen Sudermanns Großwildjäger, seinerzeit durchaus vollbärtig=ernst gemeint, und heute so wonnig komisch zu lesen, daß man ihm schon deswegen gut sein muß, auch wenn er nicht noch die handfesten Tilsiter Geschichten geschrieben hätte. Und ich will ebensowenig über den ›Großen Brehm‹ plaudern; oder den ›Krüger=Park‹ der Südafrikanischen Union, wo man nach Belieben mit Pavianen, Grant=Gazellen oder Flußpferden zusammen frühstücken kann : das hat alles der Kulturfilm viel geschickter und farbiger erledigt, als eine Schreibmaschine das auf einem zweidimensionalen Din=A=4=Blatt vermag.
    Aber es bleibt immer interessant aufzuzählen, was einem bei diesem speziellen Silbenfall ›L-ö-w-e‹ so alles einfallen kann ! Von Asbach =Flaschen lacht er einen an. Der ›Löwe der Gesellschaft‹ Dandy Brummell, schlendert herbei. Theodor Däubler, dem die Araberkinder in Kairo schreiend nachliefen mit »Simba !« : und das heißt ebenfalls ›Löwe‹; denn der Zweizentnermann mit dem buschigen Brüllhaupt erschien den unverdorbenen Naturkindern als Anthropomorphisierung ihres Heldentiers.
    Und das ist das Stichwort für eine neue Gedankenreihe; denn mir fiel all dies ein, als ich neulich ein mächtiges ›Wappenbuch‹ betrachtete. Nicht nur die von Adelsfamilien waren darin – relativ harmlose Symbole und Geräte – ; sondern vor allem die farbenprächtigen Schilder der Staaten (Nietzsche, Zarathustra, ›Vom neuen Götzen‹!).
    Und mich betrübte, wie wir da, Tag für Tag, an wappengeschmückten ›Behörden‹ aller Art vorbeitraben. An ›Öffentlichen Gebäuden‹ Briefe ›dienstlichen Inhalts‹ empfangen. Eidesstattliche Erklärungen abgeben; Anträge ausfüllen; Stempelungen erleiden; Urkunden aufbewahren; D=Markstücke hinreichen : immer atmen wir Wappenluft! Und es ist fürchterlich bezeichnend, was wir uns da als Siegel aller Art aufpressen lassen – unbewußt, gewiß; wir sind auch in dieser Hinsicht abgestumpft und gefühllos geworden ! Bei Betrachtung der gängigen Staatswappen stellen sich sogleich die merkwürdigsten Betrachtungen ein : wir leben inmitten von Raubtieren !
    ›Adler‹: die sind's ! Unsere Bundesrepublik. Die Vereinigten Staaten : in der Linken einen Lorbeer (für sich selbst); in der Rechten ein Blitzbündel (für die Andern; also wahrscheinlich Ferngelenktes). Aus dem alten österreichischen Wappen gaffte es gerupft. Das zaristische Rußland bedurfte gar eines Gegeiers mit zwei Köpfen (und nicht minder die gute Stadt Lübeck : Keiner werfe den ersten Stein !).
    Wenn's nicht so bedenklich, raubritterhaft =gefährlich wäre, könnte man sich ja amüsieren über die unzähligen balancierenden ›Löwen‹: Holland, Norwegen, Belgien, Luxemburg

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