Deutschland allein zu Haus
die Türken eine Sache voller Inbrunst machen, dann braucht man sie nur zu verbieten.
»Vater, wo seid ihr denn?«, brüllt er zurück.
»Wir fahren, dank deiner Mutter, frühzeitig von unserem Strandurlaub zurück ins Dorf und sitzen gerade im Bus.«
»Ich meine, wo wart ihr im Urlaub?«, fragt er vorwurfsvoll.
»In der Nähe von Akçay, das kennst du doch …«
»Ist Akçay auf der anderen Seite des Mondes, oder was? Wie kannst du denn von den Wahlen noch nichts erfahren haben! Die ganze Welt redet doch über nichts anderes mehr!«
»Niemand hat mir was gesagt. Die Wahlen sind ja geheim, aber sind die Ergebnisse jetzt etwa auch geheim?«
»Also, die Assis sind leider die zweitstärkste Partei geworden!«
»War ja klar, dass die Sozis wieder Zweiter werden!«
»Nein, nicht die Sozis – die verdammten Nazis sind Zweiter geworden!«
»Die Nazis? Wir hatten doch abgemacht, dass du mich im Urlaub mit deinen blöden Witzen verschonst!«, brülle ich wohl etwas zu laut, sodass mich alle Händyplauderer tadelnd angucken.
»Nein, du hast schon richtig gehört: Diese verdammten Nazis sind in Deutschland jetzt endgültig die zweitgrößte Partei geworden! Fast gleichauf mit der CDU!«
Mangels Holz klopfe ich auf den Kopf des Vordermanns:
»Mehmet, verschrei’s nicht!«
»Doch, das stimmt leider!«
»Bei Allah, Millionen Deutsche können doch nicht gleichzeitig auf den Kopf gefallen sein! Oder ist denen was auf die Birne gekracht? Ist in letzter Zeit ein großer Satellit oder ein Komet in Deutschland runtergestürzt?«
»Osman, sei doch etwas leiser, verdammt!«, zischt meine Frau.
»Eminanim … ich fasse es nicht, weißt du, was Mehmet eben gesagt hat?«
»Der ganze Bus weiß es, so rücksichtslos wie du rumgebrüllt hast! Es ist mir so was von peinlich!«
Jetzt weiß ich nicht so genau, ob ihr die Nazis peinlich sind – oder ich?
Bei der nächsten Pinkelpause an einem der großen Rastplätze kaufe ich alle möglichen Zeitungen und Zeitschriften.
Toll, sogar den ›Spiegel‹ und die ›St. Pauli Nachrichten‹ kann man hier bekommen. Ich denke mal, dass im ›Spiegel‹mehr über die Wahl steht als in den ›St. Pauli Nachrichten‹. Kommt natürlich drauf an, von welcher Wahl wir reden! Wenn es um die Wahl der originellsten Sextechniken ginge, dann wären die ›St. Pauli Nachrichten‹ zweifellos die weitaus bessere Wahl.
»Einmal passen wir bei den Wahlen in Deutschland nicht auf, fahren stattdessen in den Urlaub und schon sind die Nazis die zweitstärkste Partei«, macht meine Frau sich Vorwürfe.
»Ach, sicherlich sind sie in einem gottverlassenen Kaff an der tschechischen oder polnischen Grenze, das niemanden interessiert, die zweitstärkste Partei«, beschwichtige ich sie.
»In Ostdeutschland haben sie sogar die absolute Mehrheit einkassiert. Im Bundestag liegen sie nur noch einen halben Prozentpunkt hinter der CDU, steht hier!«
»Wie viel hat denn die SPD bekommen?«
»Warte mal, ich find sie nicht! Ich glaube, die SPD wird bei den Splitterparteien aufgeführt«, meint sie und hält mir die Wahlanalyse aus dem ›Spiegel‹ unter die Nase.
Schockiert lese ich diesen Wahnsinn doppelt und dreifach!
Diese irrsinnige Nachricht stimmt wirklich! Die CDU/CSU hat 26 Prozent und die Faschos haben 25,5 Prozent bekommen. Die SPD 18, die Grünen 8, die Linke 6 und die FDP …??
»Wo ist denn die FDP geblieben??«, frage ich verwirrt.
»Mein Gott, bei diesen Ergebnissen machst du dir Sorgen um die blöde FDP?!«
»Daran siehst du, wie gut ich integriert bin. Alle Deutschen reden doch andauernd über die FDP, obwohl die ständig bei 1 bis 2 Prozent rumkrebsen. Das ist reineNostalgie. Schau doch, was hier in der Zeitung steht: Die Kanzlerin sagte vor einiger Zeit: ›Gott hat die FDP nur erschaffen, um die CDU zu prüfen!‹ Was wird sie denn jetzt sagen: ›Gott hat die NEP nur erschaffen, um Deutschland zu prüfen?‹«
»Unglaublich, die Wahlbeteiligung lag nur bei lächerlichen 24 Prozent!«, ruft Eminanim erschrocken. »Kein Wunder, dass die Nazis die zweitstärkste Partei geworden sind! Die Radikalen gehen natürlich alle geschlossen wählen …«
»Waaass, nur 24 Prozent??«
Leider gibt es auf diesem Rastplatz im anatolischen Nirgendwo niemanden, den ich für das Wahldebakel in Deutschland verantwortlich machen kann!
Deshalb rufe ich meinen Kumpel Hans in Bremen an. Der hatte sich die ganze Zeit über die Rechtsradikalen lustig gemacht. Als die sich alle unter dem Namen
Weitere Kostenlose Bücher