Deutschland. Ein Wintermärchen
Nachtstuhl Karls des Großen, dem die Rolle eines Begründers der deutschen Nation zugeschrieben wurde. Die Zukunft des Vaterlandes aus einem eng-nationalistischen Ansatz muss, so ist Heines Resümee, in die Katastrophe führen. Neben diesen auf die ideologischen und historischen Wurzeln zielenden Angriffen nimmt er all die üblen Erscheinungen des deutschen Obrigkeitsstaates aufs Korn, aber auch die hohle Rhetorik der national-liberalen Opposition, das Kleinlich-Harmlose von Kunst und Theater. All das wird aber nicht nur in Form von direkten Angriffen bloßgestellt, es ist die Machart des Textes, sein Witz, seine Lebendigkeit, die phantastischen Reime, die dem Leser das Verdrehte und Verkehrte der Verhältnisse offenbaren.
Das
Wintermärchen
[in Kindlers Literatur Lexikon geführt als:
Wintermährchen
] sollte populäre und klassische Dichtung zugleich sein. Es fand schon 1844 begeisterte Leser ebenso wie engagierte Gegner. Die preußische Polizei verbot seinetwegen die Gesamtproduktion des Verlages Hoffmann und Campe. Heute gehört es zu den bekanntesten Heine-Texten.
Bernd Kortländer
Aus: Kindlers Literatur Lexikon. 3., völlig neu bearbeitete Auflage. Herausgegeben von Heinz Ludwig Arnold ( ISBN 978-3-476-04000-8). – © der deutschsprachigen Originalausgabe 2009 J. B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag, Stuttgart (in Lizenz der Kindler Verlag GmbH).
Aus Metzlers Lexikon Weltliteratur:
Heinrich Heine
Geb. 13. 12. 1797 in Düsseldorf;
gest. 17. 2. 1856 in Paris
»Denk ich an Deutschland in der Nacht,/Dann bin ich um den Schlaf gebracht« (
Nachtgedanken
, 1843) und: »Ein neues Lied, ein besseres Lied,/O Freunde, will ich Euch dichten!/Wir wollen hier auf Erden schon/Das Himmelreich errichten« (
Deutschland. Ein Wintermärchen
, 1844) – zwei extreme Haltungen Heinrich Heines, deren sehr unterschiedlicher literarisch-politischer Gestus kennzeichnend ist für seine Widersprüchlichkeit und Zerrissenheit: Durch das »Herz des Dichters« geht »der große Weltriß« (
Die Bäder von Lucca
, 1830). Doch weder kritische Trauer noch sinnlicher Lebensgenuss entsprachen den Erwartungen der Mehrzahl der Leser in den letzten einhundertfünfzig Jahren. Nicht erst die antisemitische, nationalistische Rechte Ende des 19. Jahrhunderts und die Nationalsozialisten, die unter H.s berühmtes Lorelei-Gedicht »Verfasser unbekannt« schrieben, auch ein Großteil der zeitgenössischen Kritiker denunzierte H. als ichbezogen und originalitätssüchtig, als unmoralisch und gotteslästerlich, als jüdisch und französelnd; der Ruf nach der Verbrennung seiner Bücher wird schon 1827 laut. Diese Ausgrenzung wurde auch von den Liberalen mitvollzogen, und der Radikaldemokrat Ludwig Börne, zeitweise H.s Weggefährte, kritisiert dessen Subjektivität und Ästhetizismus, dessen Immoralität und Areligiosität, eine Position, die sich tendenziell auch in der deutschen Arbeiterbewegung fortsetzte. »Die Wunde Heine« (Theodor W. Adorno) und deren öffentliche Behandlung, z.B. im Denkmalsstreit (1887–93, 1928–33) und in der Auseinandersetzung um die Benennung der Düsseldorfer Universität (1965–72) ist aus der deutschen Misere zu erklären und verweist zugleich auf sie. Denn H.s Schaffen wurde nicht im Kontext der literarischen und politischen Zustände gesehen, vielmehr wurde es ignoriert oder dämonisiert bzw. verklärt, d.h. auf das
Buch der Lieder
(1827) als bürgerlichen Lyrikschatz reduziert.
Harry H., der als Sohn eines jüdischen Kaufmanns zunächst den Beruf seines Vaters ergriff, studierte, unterstützt von seinem reichen Onkel, seit 1819 in Bonn, Berlin und Göttingen die Rechte. 1825 legte er das juristische Examen ab und promovierte; im selben Jahr trat er zum protestantischen Glauben über, als »Eintrittsbillett« in die Gesellschaft. Dennoch scheiterten aus politischen Gründen seine Bemühungen um eine Professur in München. In dieser Zeit, in der er auf der Suche nach einer bürgerlichen Existenz war und auch Vorlesungen bei August Wilhelm Schlegel und Ernst Moritz Arndt, bei Friedrich Carl von Savigny und Georg Wilhelm Friedrich Hegel hörte und in den Berliner Salons verkehrte, veröffentlichte er nach den ersten Gedichten (1817) nicht zufällig seinen ersten Prosatext über
Die Romantik
(1820). Auch in der Gedichtsammlung
Buch der Lieder
wird H.s Nähe zur Romantik, seine Bewunderung für ihre »Volkspoesie«, ihre Übersetzungs- und Sammeltätigkeit (Achim von Arnim,
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