Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen
verbunden.
Der allgemeine zivilisatorische Rückschritt in den Jahrhunderten nach der Völkerwanderung änderte den Charakter der Staatlichkeit. An die Stelle der staatlichen Institutionen trat das germanische Prinzip der Gefolgschaftspflicht gegenüber dem militärischen Führer,
das Ausdruck fand im Lehnssystem. Weltliche Gewalt wurde vom Lehnsherrn an Gefolgsleute verliehen und konnte von diesem auch wieder eingezogen werden. Im Lehnsprinzip vermischte sich germanische Gefolgschaftstreue mit der Idee der römischen Staatlichkeit und der Legitimation aus dem christlichen Glauben. Der christliche Legitimationstransfer fand symbolischen Ausdruck in der Kaiserkrönung Karls des Großen durch Papst Leo III. im Jahre 800 in Rom. Im Mittelalter war damit grundsätzlich alle Herrschaftslegitimation von Gott beziehungsweise von seinem Stellvertreter auf Erden, dem Papst, abgeleitet und weltliche Herrschaft untrennbar mit der Gottesherrschaft verwoben. Im Investiturstreit kämpften Papst und Kaiser um den machtpolitischen Vorrang in diesem Gefüge. Kaiser Heinrichs IV. Gang nach Canossa im Jahre 1076 beendete den Streit im Sinne Gregors VII., also des Papstes: Die weltliche Herrschaft blieb der geistlichen grundsätzlich untergeordnet, aber sie bezog aus der christlichen Religion ihre Legitimation.
Der Sprung in die Moderne
Das kombinierte System von christlicher und weltlicher Herrschaft bei reduzierter Staatlichkeit eröffnete große Freiräume für unterschiedliche regionale und zivilisatorische Entwicklungen. In diese Zeit fallen entscheidende Fortschritte und Erfindungen:
• die Übernahme des eisernen Pfluges und des Kummets um das Jahr 1000 aus China
• die Einführung der Dreifelderwirtschaft um 1100
• die Erfindung des Kompasses im 12. Jahrhundert
• die Erfindung der mechanischen Uhr im 13. Jahrhundert
• die Einführung des Schwarzpulvers und die Erfindung der Feuerwaffen im 14. Jahrhunderte
• die Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhunderte
• die Entdeckung des Kopernikus im Jahre 1543, dass sich die Planeten um die Sonne drehen. (Mit der Kopernikanischen Wende erfolgte der Abschied vom geozentrischen Weltbild.)
Die Entwicklung zwischen 1000 und 1500 zeugt von einer voraussetzungslos dem Tatsächlichen zugewandten Geisteshaltung, deren
Quellen bis heute Rätsel aufgeben. Im Mittelalter, das über lange Zeit das wirtschaftliche Niveau des Römischen Reiches nicht annähernd erreichte, wurden letztlich die technischen und wissenschaftlichen Grundlagen für die explosionsartige Entwicklung in der Neuzeit gelegt. 5
Reformation, Aufklärung und Absolutismus
Die Entdeckung der Neuen Welt, die Weltreisen der spanischen und portugiesischen Seefahrer und die Auswirkungen der Reformation beschleunigten den Wandel der Verhältnisse. Die Handelswege verschoben sich, das Gold und Silber aus der Neuen Welt versetzte dem Warenfluss und der Produktion einen gewaltigen finanziellen Impuls. Vor allem aber leitete die Reformation die Emanzipation des Denkens von religiöser und staatlicher Bevormundung ein. Die Beziehung zu Gott wurde persönlich und damit abstrakt und den Zuständigkeiten von Kirche und Staat grundsätzlich entzogen.
Die Reformation schuf die geistigen Voraussetzungen für die Philosophie der Aufklärung und damit die Säkularisierung der Welt. Die Aufklärung aber entzog der erblichen politischen Herrschaft die Legitimationsgrundlage. Während die Monarchie in der erblichen Herrschaft des Absolutismus im 17. und 18. Jahrhundert ihre höchste und reinste Ausprägung erfuhr, wurde ihre religiöse und philosophische Begründung zunehmend in Frage gestellt: Wenn jeder Mensch unmittelbar zu Gott sein kann, was braucht er dann noch die Zwangsmitgliedschaft in einer Staatskirche, und weshalb soll er sich einer Herrschaft fügen, die ihm qua Erbfolge vorgesetzt wurde?
Die Philosophie des Gottesgnadentums, die unmittelbare Legitimation des absoluten Herrschers aus der göttlich-christlichen Weltordnung, überdauerte unter diesem Druck kaum 150 Jahre. Sie wurde seit dem 17. Jahrhundert durch Hobbes, Hume, Voltaire, Rousseau und andere, letztlich auch durch Kant, philosophisch untergraben. Damit standen die überkommenen monarchischen Regierungen vor einem Legitimationsproblem, das 1649 in England - nach dem Bürgerkrieg zwischen König und Parlament unter Führung Oliver Cromwells - Karl I. den Kopf kostete. Die amerikanische
Unabhängigkeitserklärung von 1776 postulierte dann erstmals in
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