Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
Vom Netzwerk:
zurück. Wenig später bog der Wagen bei dem Dorf Trettin zum gleichnamigen Gutshof ab. Inzwischen war es dunkel geworden, und der Kutscher wagte es nicht mehr, die Pferde zu sehr anzutreiben. Es mochten Äste oder andere Gegenstände auf der Straße liegen, über die ein Gaul stolpern und zu Schaden kommen konnte. Stieß den Tieren etwas zu, war er schuld, und es setzte ein Donnerwetter.
    Kurz hinter dem Dorf kamen die schattenhaften Umrisse eines Hauses in Sicht. Ottokar starrte durch das offene Kutschenfenster auf das tief heruntergezogene Reetdach und knirschte mit den Zähnen. Es war das Lehrerhaus, in dem seine Base mit ihrer Familie lebte. Hinter den Fenstern war kein Funken Licht mehr zu erkennen. Die Bewohner waren wohl bereits zu Bett gegangen.
    »Halt an!«, befahl Ottokar dem Kutscher, denn es würde ihm Genugtuungbereiten, Leonore Huppach und ihren vertrottelten Mann zu wecken und ihnen zu sagen, dass er seinen Onkel lieber im Gefängnis sehen wollte, als auf das ihm zustehende Vermögen zu verzichten. Vielleicht konnte er die beiden so einschüchtern, dass sie freiwillig bekannten, wo der Alte das unterschlagene Geld versteckt hielt. Wenn er sie ebenfalls vor Gericht zerrte und sie als Diebe verurteilen ließ, würden sie das Wohnrecht im Lehrerhaus verlieren und auf der Straße stehen, und das gebührte diesem Pack.
    »Herr, die Kutsche steht«, meldete Florin missmutig, als sein Herr sich nicht rührte. Warum musste er ausgerechnet vor dem Lehrerhaus anhalten, in dem ohnehin keiner mehr wach war? In der Gutsküche wartete eine deftige Abendmahlzeit auf ihn, und die Pferde sehnten sich nach ihrer Futterkrippe im Stall.
    Zu Florins Bedauern öffnete Ottokar von Trettin schließlich den Schlag und stieg aus. Er atmete ein paarmal tief durch, trat einige Schritte auf das reetgedeckte Haus zu und hob den Knauf seines Stockes, um gegen die Tür zu schlagen. Dabei überlegte er sich, was er sagen sollte, und zögerte. Würde er das Gesindel da drinnen zur Rede stellen, warnte er sie nur und gab ihnen die Möglichkeit, das Geld, das sein Onkel dem Gut entnommen hatte, verschwinden zu lassen. Nachdenklich schlenderte er bis zu dem kleinen Ziegenstall, der an das Wohnhaus angebaut war, und zog sein Zigarrenetui heraus. Während er sich eine Zigarre auswählte und sie anzündete, wuchs sein Ärger, weil an diesem Tag rein gar nichts so lief, wie er es gerne gesehen hätte.
    Als das Schwefelhölzchen flatternd zu Boden fiel und erst nach ein paar Augenblicken erlosch, verzog Ottokar von Trettin seine Lippen zu einem zufriedenen Grinsen. Ganz ungestraft wollte er Leonore Huppach nicht davonkommen lassen. Daher ging er zum Heuschober hinüber, der nur wenige Schritte vom Wohnhaus entfernt stand, und öffnete die Tür. Der würzige Duft des Heusschlug ihm entgegen, und er erinnerte sich, seine Cousine im letzten Herbst bei der Mahd beobachtet zu haben. Diese hatte genug Heu eingelagert, so dass ihre Ziegen bei den in diesem Landstrich unvermeidlichen Kälteeinbrüchen nicht auf die Weide getrieben und dort von den Kindern gehütet werden mussten. Den Vorteil würde er seiner Cousine in diesem Jahr versalzen, sagte er sich und lachte hämisch. Er blies auf die Zigarre, bis sie hell aufglühte, und warf sie in den Heuschober.
    Noch während er sich umdrehte, um zu seiner Kutsche zurückzukehren, entzündete sich das trockene Heu in einer Stichflamme, und Sekunden später brannte der Schober lichterloh. Ottokar von Trettin wurde von der Wucht des Feuers überrascht und bekam es plötzlich mit der Angst zu tun. So rasch, wie man es ihm bei seiner Körperfülle niemals zugetraut hätte, sprang er in die Kutsche und befahl dem Mann auf dem Bock, sofort weiterzufahren.
    Florin gehorchte und ließ die Pferde antraben. Sein Herr steckte unterdessen den Kopf aus dem Kutschenfenster und starrte auf das Feuer, dessen Flammen jetzt schon höher schlugen als das Reetdach des Wohnhauses. Ein kühler Windstoß fegte über das Land und trieb die Funken des brennenden Heuschobers auf das Haus zu. Das Reetdach entzündete sich sofort, und die immer rascher hereinbrechenden Böen fachten das Feuer an, bis das ganze Haus einer hell lodernden Fackel glich.
    Ein Teil seines Verstands sagte Ottokar von Trettin, dass er anhalten und seine Base wecken musste, damit sie und ihre Familie noch rechtzeitig aus dem brennenden Haus kamen. Er klopfte gegen das Kutschendach, um den entsprechenden Befehl zu geben, hörte sich stattdessen aber rufen:

Weitere Kostenlose Bücher