DGB 01 - Aufstieg
folgten einem der
großen Gänge im Rücken des Flaggschiffs, einer drei Decks hohen Schlucht mit
Kuppeldecke und Stützpfeilern wie das auf fünf Kilometer verlängerte
Mittelschiff einer alten Kirche. Er war düster, und die prächtigen Banner von
Legionen, Kompanien und Feldzügen, manche davon verblasst oder in alten
Schlachten beschädigt, hingen in regelmäßigen Abständen von der Decke. Große Mengen
Personal fluteten durch den Gang, deren Stimmen ein seltsames Flüstern in das
Gewölbe trugen, und Loken konnte andere Personenströme auf den erleuchteten
Galerien über ihnen erkennen, wo die Oberdecks auf den Hauptraum schauten.
»Das Erste«, sagte
Sindermann, während sie den Gang entlangschlenderten, »ist ein schlichtes
Pflaster für Ihre Sorgen. Sie haben gehört, wie ich es der Klasse lang und
breit erklärt habe, und in gewisser Weise haben Sie selbst gerade noch eine
Version abgeliefert, als Sie über das Thema Gewissen gesprochen haben. Sie sind
eine Waffe, Garviel, ein Beispiel für eines der herausragendsten Werkzeuge der
Zerstörung, das die Menschheit je entwickelt hat. In Ihnen darf es keinen Platz
für Zweifel oder Unsicherheit geben. Sie haben recht. Waffen sollten nicht
denken, sie sollten sich nur einsetzen lassen, denn die Entscheidung, sie zu
benutzen, steht nicht ihnen zu. Diese Entscheidung muss - mit großer und
furchtbarer Sorgfalt und ethischen Erwägungen jenseits unserer Urteilskraft -
von den Primarchen und Kommandanten getroffen werden. Der Kriegsmeister setzt
Sie, wie unser geliebter Imperator vor ihm, nicht leichtfertig ein. Nur
schweren Herzens und mit einer gewissen Entschlossenheit lässt er die Astartes
los. Die Adeptus Astartes sind die letzte Zuflucht und werden auch immer nur
als solche eingesetzt.«
Loken nickte.
»Das dürfen Sie nicht
vergessen. Nur weil das Imperium die Astartes und damit die Fähigkeit hat,
jeden Feind zu besiegen und, wenn nötig, auszulöschen, geschieht es nicht aus
diesem Grund. Wir haben die Mittel entwickelt, um auszulöschen... Wir haben
Krieger wie Sie entwickelt, Garviel... weil es notwendig ist.«
»Als notwendiges Übel?«
»Als notwendiges Werkzeug.
Recht folgt nicht auf Macht. Die Menschheit hat eine große, empirische Wahrheit
zu vermitteln, eine Botschaft zu bringen, und zwar zum Wohle aller. Manchmal
stößt diese Botschaft auf taube Ohren. Manchmal wird diese Botschaft verschmäht
und abgelehnt, wie hier. Dann, und nur dann danken wir den Sternen, dass wir
die Macht haben, sie durchzusetzen. Wir sind mächtig, weil wir recht haben,
Garviel. Wir haben nicht recht, weil wir mächtig sind. Es wäre schlimm, wenn
die Umkehrung unser Credo würde.«
Sie hatten den breiten
Längsgang verlassen und folgten jetzt einer Promenade, die zum Archiv führte.
Servitoren watschelten vorbei, deren obere Glieder mit Büchern und Datentafeln
beladen waren.
»Ob wir mit unserer Wahrheit
recht haben oder nicht - müssen wir sie den Unwilligen immer aufzwingen? Wie
die Frau sagte: Können wir sie nicht einfach unbehelligt sich selbst
überlassen?«
»Sie gehen an einem Seeufer
entlang«, sagte Sindermann.
»Ein Junge ertrinkt. Lassen
Sie ihn ertrinken, weil er so dumm war, ins Wasser zu fallen, bevor er
schwimmen gelernt hat? Oder fischen Sie ihn heraus und bringen ihm das
Schwimmen bei?«
Loken zuckte die Achseln.
»Letzeres.«
»Und wenn er sich gegen
Ihren Rettungsversuch wehrt, weil er Angst vor Ihnen hat? Weil er nicht
schwimmen lernen will?«
»Ich rette ihn trotzdem.«
Sie waren stehen geblieben.
Sindermann legte seine Hand auf die Kontrollplatte im Messingrahmen einer
großen Tür und ließ seine Handfläche vom abtastenden Licht lesen. Die Tür
öffnete sich und atmete dabei klimatisierte Luft und eine Hintergrundandeutung
von Staub aus, als wäre sie ein Mund.
Sie betraten das Gewölbe von
Archivkammer Drei. Gelehrte, Sphragisten und Metaphraseologen arbeiteten
schweigend an den Lesepulten und bestellten Servitoren zu sich, um sich Bücher
aus den versiegelten Regalen holen zu lassen.
»Was mich an Ihren Sorgen
interessiert«, sagte Sindermann mit so leiser Stimme, dass nur Lokens
verstärktes Gehör ihn verstehen konnte, »sind die Aussagen, die sie über Sie
machen. Wir haben festgestellt, dass Sie eine Waffe sind und über Ihr Tun nicht
nachzudenken brauchen, weil andere das Denken für Sie übernehmen. Trotzdem
gestatten Sie dem menschlichen Funken in
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