DGB 06 - Gefallene Engel
sie gegeneinander antraten, war nicht wichtig. Die Hauptsache war,
dass einer besser als der andere sein konnte.
Ihre Meister im Orden hatten
dieses Wetteifern schon früh erkannt und es aktiv gefördert. Jeder für sich
hätte ein durchschnittlicher Kandidat für den Ritterschlag sein können, aber
von dem Gedanken angespornt, den jeweils anderen zu überbieten, hatten sie ihre
Aussichten auf eine Aufnahme in den Orden deutlich verbessert.
Darüber sprachen ihre Meister
jedoch nur hinter vorgehaltener Hand, da es auf Caliban nicht üblich war, unnötiges
Lob auszusprechen. Dennoch wurde von Zahariel und Nemiel erwartet, dass sie es
innerhalb des Ordens weit bringen würden.
Als der Ältere — auch wenn es
dabei nur um ein paar Wochen ging — litt Nemiel stärker unter diesem ständigen
Wetteifern als Zahariel, da es ihm manchmal wie ein Rennen vorkam, das er
einfach nicht gewinnen konnte. Jedes Mal, wenn Nemiel glaubte, er habe seinen
Rivalen endlich geschlagen, widerlegte Zahariel ihn, zog mit ihm gleich und
übertrumpfte ihn am Ende sogar noch.
In gewisser Weise wusste
Zahariel um die wichtige Rolle, die sein Bruder bei seinen Triumphen spielte. Ohne
Nemiel hätte er niemanden gehabt, mit dem er sich messen konnte, niemanden, den
es zu übertrumpfen galt. Und ohne ihn wäre ihm womöglich nie der Zutritt zum
Orden gewährt worden, so dass er auch nicht Ritter hätte werden können. Aus
diesem Grund konnte er seinem Bruder auch nie einen Triumph neiden. Ganz im
Gegenteil, er feierte jede von Nemiels Leistungen so ausgelassen, als hätte er
selbst sie vollbracht.
Für Nemiel gestaltete sich die
Situation dagegen deutlich anders.
Mit der Zeit wich die
Verzweiflung darüber, dass er seinen Bruder nicht schlagen konnte, heimlichen Ressentiments
gegenüber dessen Leistungen. So sehr er sich auch bemühte, diese Gedanken unter
Kontrolle zu halten, regte sich in Nemiels Kopf eine leise Stimme, die den
Wunsch aussprach, Zahariel möge doch nicht allzu erfolgreich sein.
Natürlich wünschte er seinem
Bruder nicht, dass dem etwas zustieß oder er kläglich scheiterte. Aber es wäre ihm
lieb gewesen, wenn dessen Triumphe nie ganz so großartig ausfallen würden wie
seine eigenen. Vielleicht war der Gedanke kindisch, doch das Wetteifern zwischen
ihnen hatte ihr Leben so grundlegend geprägt, dass es für Nemiel schwierig war,
eben nicht so zu denken.
In vieler Hinsicht würde es in
seiner Beziehung zu Zahariel immer in gleichem Maß um Rivalität wie um Brüderlichkeit
gehen.
Beides bestimmte ihr Leben.
Und bald würde beides über ihr Schicksal
bestimmen.
»Wenn du nichts Besseres zu
bieten hast«, spottete Nemiel und tänzelte vor Zahariels Schwerthieb aus dem Weg,
»dann solltest du vielleicht lieber aufgeben.«
Zahariel machte einen Schritt
auf seinen Cousin zu, hielt die Übungsklinge dicht an seinen Körper und rammte
Nemiel die Schulter in die Brust.
Nemiel hatte mit dieser Attacke
gerechnet, aber Zahariel war der Stärkere, und so landeten beide Jungs auf dem
Steinboden des Trainingssaals. Nemiel stieß einen Schrei aus, als er auf dem Boden
aufschlug, rollte sich zur Seite und riss sein Schwert hoch, während Zahariels Klinge
ins Leere stach.
»Das ist nicht mal im Ansatz
mein Bestes«, sagte Zahariel, der vor Anstrengung keuchte. »Ich spiele nur mit dir.«
Der Kampf dauerte jetzt schon
fast eine Viertelstunde, in der ein Hieb auf den anderen folgte, eine Finte die
nächste jagte, ein Schlag nach dem anderen pariert wurde.
Beide Jungs waren
nassgeschwitzt, ihre Muskeln brannten, Arme und Beine waren schwer wie Blei.
Die anderen Anwärter hatten sich
im Kreis um sie geschart, um ihrem jeweiligen Favoriten zuzujubeln, und Meister
Ramiel verfolgte den Kampf mit einer Mischung aus väterlichem Stolz und
Entrüstung.
»Bringt es zu Ende!«, forderte
Ramiel. »Mir ist egal, wer gewinnt, aber bringt es zu Ende, sonst werde ich den
Kampf für unentschieden erklären. Ihr habt heute noch anderen Unterricht, an
dem ihr teilnehmen sollt.«
Die Drohung, ein Unentschieden
zu verkünden, verlieh Zahariel neue Kraft und Entschlossenheit. Allerdings
musste er erkennen, dass sein Cousin genauso reagierte, was zweifellos von
Meister Ramiel beabsichtigt war. Keiner von ihnen würde sich mit einem
Unentschieden begnügen, da nur ein Sieg Genugtuung für den Kampf war.
Er sah, wie Nemiel die Muskeln
anspannte, um zum Angriff überzugehen, und machte seinerseits einen Satz nach
vorn.
Sein Schwert schoss auf
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