DGB 06 - Gefallene Engel
Nemiels
Bauch zu, und obwohl die Klinge stumpf und die Spitze abgeflacht war, besaß sie
doch das Gewicht einer normalen Waffe und konnte einigen Schaden anrichten,
wenn sie ihr Ziel traf. Nemiel reagierte sofort, wehrte die Klinge ab und schlug
sie zur Seite.
Doch Zahariel war es bei seiner
Attacke gar nicht um das Schwert gegangen, denn er stürmte weiter und holte mit
der Faust aus, um sie seinem Cousin seitlich gegen den Kopf zu schlagen. Der
Treffer war eher kläglich, aber er hatte genau die von Zahariel beabsichtigte
Wirkung.
Nemiel schrie auf, ließ sein
Schwert fallen und fasste sich mit beiden Händen an den Kopf.
Das war die Lücke in Nemiels
Verteidigung, auf die er gewartet hatte, und er setzte dem Kampf ein Ende, indem
er seinem Cousin das Knie in die Magengrube rammte. Der knickte förmlich in
sich zusammen und landete auf dem Steinboden.
Zahariel drehte sich zu seinem
Meister um, der bestätigend nickte und dann verkündete: »Der Sieger ist
Zahariel.«
Er atmete erleichtert aus und
ließ sein Schwert los, das klirrend auf dem Boden aufschlug. Dann sah er zu Nemiel,
der sich unter Schmerzen langsam aufrichtete. Unterdessen wandte sich Ramiel ab
und ging zielstrebig auf den Torbogen zu, um seine Schüler zur nächsten strapaziösen
Unterrichtsstunde zu führen.
Zahariel hielt Nemiel eine Hand
hin und fragte: »Geht es dir gut?«
Sein Cousin hielt immer noch
die Hände an den Kopf gedrückt, die Lippen hatte er fest zusammengepresst,
während er zu überspielen versuchte, wie stark seine Schmerzen waren. Einen
Moment lang bedauerte Zahariel, dass er ihm so wehgetan hatte, doch dann verdrängte
er diese Gefühlsregung. Schließlich war es seine Pflicht gewesen, diesen Kampf
zu gewinnen, denn wenn er nicht sein Bestes gegeben hätte, wäre das einem
Verstoß gegen die Lehren des Ordens gleichgekommen.
Zwei Jahre lag seine Einführung
in den Orden inzwischen zurück, und vor nicht einmal einem Monat hatte er den
neunten Jahrestag seiner Geburt feiern können. Eigentlich war kein besonderer
Grund gegeben, diesen Tag hervorzuheben, aber die Ritter des Ordens, die
zugleich als Lehrer tätig waren, legten großen Wert darauf, Jahrestage als
Symbol für das Verstreichen der Zeit zu begehen, so wie sie auch das Alter und
die Verdienste ihrer Mitglieder genau nachhielten.
Nemiel war nur wenige Wochen
vor ihm neun geworden, und auch wenn sie sich äußerlich so ähnelten und
praktisch gleich alt waren, hätte ihr Temperament nicht unterschiedlicher sein
können.
Zahariel konnte Nemiel ansehen,
dass der den Ausgang des Kampfs bereits vergessen hatte, nicht aber die Art,
wie er besiegt worden war.
»Mir geht es gut« erwiderte
Nemiel. »Das war nicht schlecht. Ich weiß jetzt, wie du es angestellt hast,
aber glaub ja nicht, dass du mich noch einmal auf diese Weise besiegen wirst.«
Das stimmte, überlegte
Zahariel. Sobald er bei einem Kampf mit seinem Cousin eine bis dahin nicht
angewandte Methode einsetzte, konnte er damit ein zweites Mal nicht mehr zum
Zug kommen, sondern hatte selbst das Nachsehen.
Man konnte Nemiel besiegen,
jedoch nie zweimal auf die gleiche Weise.
»Versuch, nicht zu enttäuscht
zu sein«, sagte Zahariel.
»Ich habe zwar gewonnen, aber
es war kein schöner Sieg.«
»Wen interessiert, ob der Sieg
schön war oder nicht?«, fuhr Nemiel ihn an. »Hauptsache, du hast gewonnen.«
Zahariel hielt ihm immer noch
die Hand hin. Erst jetzt ergriff Nemiel sie und ließ sich von ihm hochziehen.
Er klopfte sein Gewand ab. »Ach, nimm keine Notiz von mir. Ich bin nur sauer,
weil du mich wieder geschlagen hast, und das auch noch in Anwesenheit von
Meister Ramiel. Ich sollte wohl lieber an die vielen Male denken, als ich dich
zu Boden geschickt habe.«
»Da hast du Recht«, stimmte
Zahariel ihm zu. »Ich glaube, die Menschen neigen dazu, sich zu sehr auf die
Enttäuschungen zu konzentrieren. Dabei sollten wir uns vor Augen halten, wie
glücklich wir uns schätzen können.«
»Glücklich? Was redest du da?«,
gab Nemiel zurück, während sie den anderen aus dem Trainingssaal folgten. »Du
hast mir gerade gegen den Kopf geschlagen, und wir leben auf einer Welt, die
von Monstern verseucht ist. Was soll daran glücklich sein?«
Er sah Nemiel an, da er
fürchtete, der könne sich über ihn lustig machen. »Na, überleg doch mal. Von all
den Epochen in der Geschichte Calibans haben wir das große Glück, in der
gleichen Ära zu leben wie der Löwe und wie Luther. Wir werden bei einem der
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