Dhampir - Götterjagd
erfasst, als er begriff: Die Geräusche stammten nicht aus einem Traum, sondern von den Toten, die in ihren Zellen erwachten. Und was das Glitzern im Dunkeln betraf, als hätte sich dort etwas beweg t …
Chane drehte sich um.
Das letzte Licht des Tages zeigte sich unter der Tür und in den Ritzen zwischen den Fensterläden. Das Feuer im Kamin war heruntergebrannt, die verschrumpelte Leiche des jungen Priesters verschwunden, Welstiel nirgends zu sehen.
Dann bemerkte er ein schwaches Glühen oben an der Treppe.
Schmerzerfüllte, qualvolle Schreie erklangen und lockten Chane an. Er trat die ersten Stufen der Treppe hoch und sah eine Laterne auf dem Boden des Flurs. Dahinter, in der Ecke, saß Welstiel auf einem Stuhl.
»Sechs«, flüsterte Welstiel. Staunen lag in seiner Stimme. »Hörst du sie? Sechs von zehn sind auferstanden. Ich hatte bestenfalls auf drei gehofft.«
Chane achtete kaum auf seine Worte, denn der Geruch des Blutes auf dem Boden erfüllte ihn erneut mit Gier. Wimmernde Stimmen erklangen hinter den Türen der kleinen Zimmer. Oder bildete Chane sich das nur ein?
Die zweite Tür auf der linken Seite erbebte.
Zweimal bewegte sie sich in ihren Angeln, als von der anderen Seite etwas gegen sie stieß, und anschließend zog dieses Etwas an ihr. Das laute Kratzen von Metall auf Stein weckte Chane aus seiner von Faszination ausgelösten Starre, und er stellte fest: Die Türen auf dieser Seite waren jetzt nicht mehr mit dicken Holzstäben blockiert, sondern mit schlichten Eisenstangen.
» Du wirst jetzt über sie wachen«, sagte Welstiel. »Ich muss andere Vorbereitungen treffen.«
Chane erkannte die besondere Bedeutung in den Worten. »Du hast den ganzen Tag hier gesessen? Wi e … wie konntest du dem Dämmern widerstehen?«
Welstiel überhörte die Frage. An der Wand hinter seinem Stuhl lehnten weitere Eisenstangen.
»Hast du vor, noch mehr von ihnen zu töten und einzusperren, in der Hoffnung, dass sie aus dem Tod zurückkehren?«
Welstiel schüttelte den Kopf und beobachtete noch immer die eine zitternde Tür. »Die zusätzlichen Stangen werde ich einsetzen, wenn eine nicht mehr genügt.«
Chane starrte Welstiel verwirrt an. Hatte er in einer Nacht der Völlerei den Verstand verloren? Verabscheute er das Trinken des Blutes seiner Opfer so sehr, dass er durchgedreht war? In den Zimmern auf der rechten Seite steckten lebende Prieste r – Nahrung für Welstiels Neugeborene. Wenn er gewusst hatte, dass sich seine Schöpfungen befreien konnte n … Warum hatte er dann mit dem Einsatz von Eisenstangen gewartet? Und warum hielt er seine Diener eingesperrt?
Welstiel schien Chanes Gedanken zu erahnen. »Sie sollen hoffen, sich befreien und Nahrung finden zu können. Und wenn die Vernunft verblasst und die Verzweiflung größer wir d … Dann schwindet die Hoffnung, und es bleibt nur der Hunger.«
Welstiel ging nach unten, und Chane sah ihm benommen hinterher.
»Lass sie nicht heraus!«, warnte Welstiel leise und blieb am unteren Ende der Treppe stehen. »Und wenn du einen von ihnen durch eine Türritze siehs t … Vermeide es, ihm in die Augen zu blicken, denn darin könntest du zu viel von dir erkennen.«
Chane wich zurück, setzte sich auf den Stuhl und schloss die rechte Hand fest um eine Eisenstange.
Er fragte sich, wo im Gebäude der größere Wahnsinn lag: bei den neuen Untoten in den Zellen oder bei Welstiel, der sie erschaffen hatte?
Welstiel holte seinen Rucksack und ging durch den Flur, der tiefer ins Gebäude führte. Er hatte den Tag überstanden, ohne dass sich seine Gedanken im besonderen Schlaf des Dämmerns verlore n – und ohne seiner Traumherrin zu begegnen. Aber ohne Hilfe überstand er keinen weiteren Tag.
Unterwegs öffnete er einige Türen, fand aber nur Lagerräume, die ihm unpassend erschienen. Am Ende des Flurs entdeckte er einen breiten Raum mit langen Holztischen und Sitzbänken, offenbar ein Speisesaal. Dort machte er sich ans Werk.
Welstiel öffnete den Rucksack und holte eine Mattglaskugel hervor. Drei kleine Lichter tanzten in ihr und wurden heller, als er die Kugel berührte. Erneut griff er in den Rucksack, entnahm ihm einen eisernen Ständer und setzte die Kugel darauf. Dann öffnete er den Rucksack noch etwas mehr.
Es war Jahre her, seit er das Mittel zum letzten Mal benutzt hatte. Er schob Bücher, Metallstäbe, einen Ring aus Stahl und den Kasten mit dem Napf beiseite. Ganz unten im Rucksack berührten seine Fingerspitzen weichen Stoff, der einen festen
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