Dhampir - Seelendieb
Kreatur war entkommen.
Vor dem inneren Auge sah er sie noch einmal, die Untoten, mit denen Magiere und er es zu tun bekommen hatten. Zwei waren ausgelöscht, aber der dritte, Rattenjunge, hatte fliehen können.
Leesil drehte sich zur Ostseite der Lichtung um, wo eine große, vernarbte Kiefer stand. Jeden Morgen brachte er einen kleinen, in Segeltuch gehüllten Kasten mit und legte ihn an ihrem Stamm ab. Die Kiefer war groß und alt. Wind und Regen hatten Boden fortgetragen; hier und dort traten dicke Wurzeln hervor. An einer Stelle war Rinde abgeschabt, und ein Ast hing halb abgerissen da. Diese Verletzungen waren nicht so alt.
Die Untoten von Miiska existierten nicht mehr, aber das brachte Leesil keine Erleichterung.
Es war nicht vorbei. Mit Magiere konnte er nicht darüber sprechen, denn sie war nicht bereit, ihm zuzuhören. Noch nicht.
Leesil ging zu der Kiefer und strich das Segeltuch beiseite. Zum Vorschein kam ein rechteckiger Kasten aus dunklem Holz, so lang wie sein Unterarm. Er war so flach, dass man ihn unter einem weiten Hemd verstecken konnte. Leesil hob den Deckel, und in ihm krampfte sich etwas zusammen, als er den Inhalt sah: Geschenke seiner Mutter zum siebzehnten Geburtstag vor vielen Jahren.
Der Kasten enthielt Waffen und Werkzeuge, wie man sie von keinem Waffen- oder Metallschmied kaufen konnte. Ihr Ursprung blieb Spekulationen überlassen. Leesil konnte nur vermuten, dass sie vom Volk seiner Mutter stammten, aber warum die Elfen solche Dinge herstellten, blieb ihm ein Rätsel.
Er betrachtete die abscheulichen Objekte. Eine Garrotte, Griffe und Draht aus dem gleichen Metall wie sein unbeschädigtes Stilett, etwas heller als Silber. Eine kleine, gewölbte Klinge, leicht in der Hand zu verbergen, aber dazu geeignet, durch Fleisch und Knochen zu schneiden. Und im Deckel, hinter einer ausklappbaren Abdeckung, ein Dutzend kleine Stifte, Drähte und Haken aus dem gleichen Metall und dafür bestimmt, Schlösser zu knacken. Der letzte Gegenstand war der Griff eines Stiletts. Die Klinge fehlte: Sie war einen Fingerbreit über dem Schutzbügel abgebrochen.
Leesil nahm den Griff ohne Klinge, und unerwünschte Erinnerungen strömten auf ihn ein.
Rattenjunge, das schmutzige Schmuddelkind, Hass und Triumph in den braunen Augen. In jener Nacht, der Blick von Schmerz getrübt, hatte das kleine Monstrum für Leesil sehr menschlich ausgesehen.
»Vielleicht könnten wir dies ein Unentschieden nennen«, hatte Leesil gescherzt und sich zu sicher gefühlt. »Ich verspreche dir, dich nicht zu verletzen.«
Das Lächeln in Rattenjunges scharf geschnittenem Gesicht wirkte wie aufgemalt.
»Oh, aber ich möchte dich verletzen.«
Der dreckige Untote sprang wie eine Ratte, die einen größeren Gegner angreift, und trat Leesil gegen die Brust. Leesils Rippen knackten laut, und er flog über die halbe Lichtung. Bevor er wieder klar sehen konnte, war Rattenjunge heran und packte ihn am Hemd.
Als Leesil hochgezogen wurde, drehte er die Hände und löste damit die Halteriemen der Futterale an den Unterarmen. Stilette glitten in seine Hände, und er rammte sie beide bis zum Heft in Rattenjunges Seiten.
»Wie du mi r … so ich dir«, schnaufte Leesil und drückte die Klingen nach unten.
Rattenjunges Rippen gaben knirschend nach, und gleichzeitig ertönte ein metallenes Klacken. Die rechte Klinge brach, und ein Schlag raste durch Leesils Arm und Körper. Rattenjunges offener Mund unter den weit aufgerissenen Augen blieb lautlos, und er warf Leesil gegen den Stamm der alten Kiefer.
DieunterenZweigebrachen,alsLeesilaufdenWaldbodenfiel.DerAufprallwarsoschmerzhaft,dasssichdereigeneKörperfernundunwirklichanfühlte,underließbeideStilettefallen,dasunbeschädigteebensowiedenGriffdesabgebrochenen.VollerPeinhieltersichandemgesplittertenAstfest.AlsRattenjungeerneutangriff,nutzteerBewegungsmomentundGewichtseinesGegnersaus.
Rattenjunge zog sich auf die Beine und taumelte zurück, mit Schmerz und Furcht im Gesicht, als er an dem mitten aus seiner Brust ragenden Ast zerrte.
»Leesil! Wo bist du?«
Eine Stimme rief seinen Namen, doch Rattenjunges noch immer weit geöffneter Mund hatte sich nicht bewegt. Halb gepfählt huschte der verdreckte Untote durch den Wald davon, bevor Magiere die Lichtung erreichte. Leesil lag auf dem Boden und versuchte, bei Bewusstsein zu bleiben.
Der kleine, drahtige Vampir war entkommen.
Und jetzt, Monate später, blickte Leesil auf die Gegenstände im Kasten hinab. Er legte den klingenlosen Griff
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