Dhampir: Steinerne Flut (German Edition)
und sank aufs Bett. Die Matratze war steif und hart, wie Steinplatten unter einer Decke, und was das Bett in der Breite zu viel hatte, fehlte ihm an Länge. Chane zog die Beine an, drehte sich auf die Seite und schloss die Augen. Bevor sich seine Gedanken im Dämmern verloren, fühlte er den Hunger.
Er war wie ein Tier, die Pranken in Dunkelheit gefesselt. Das Tier knurrte tief in Chane und zerrte an den Fesseln.
Wynn hätte bestimmt nichts davon gehalten, wenn er ein fühlendes, vernunftbegabtes Wesen tötete, um selbst am Leben zu bleiben, und er konnte nicht riskieren, dass sie ihn wegschickte. Aber wie sollte er sich sonst an diesem Ort ernähren, unter diesen neuen Umständen?
Das Dämmern vertrieb den Hunger aus Chane und brachte das Tier zum Schweigen.
2
Wynn erwachte mit steifem Hals und erinnerte sich daran, dass sie im Tempel waren. Seit vielen Jahren hatte sie nicht in einem Zwergenbett geschlafen – die Matratze bestand eigentlich nur aus mehreren Wolldecken auf Stein. Ein kräftig gebauter Zwerg mochte so etwas für bequem halten, aber für alle anderen war es ziemlich hart.
Schatten bewegte sich am Ende des Bettes und sprang zu Boden, als sich Wynn aufsetzte und ihre schmerzende Schulter rieb. Auf dem steinernen Tisch neben der Tür standen eine Wasserkanne aus Zinn und ein einfacher Becher. Wynn merkte plötzlich, wie trocken ihre Kehle war.
»Hast du Durst?«, fragte sie Schatten.
Wynn stand auf, füllte den Becher für die Wölfin und trank selbst aus der Kanne. Sie war froh, von der Gilde weg zu sein, von ihren Vorgesetzten und den anderen Weisen. Es kam einer Erleichterung gleich, erneut zu reisen und nur sich selbst und ihren ausgewählten Gefährten gegenüber verantwortlich zu sein.
Als Mädchen hatte sie das Leben in der Gilde geliebt. Dann war sie mit Domin Tilswith und anderen Weisen über den Kontinent und das östliche Meer gereist, zu den sogenannten Fernländern. Das Ziel der Mission hatte darin bestanden, eine neue Niederlassung der Gilde zu gründen. Doch in Bela, der an der Küste gelegenen Hauptstadt von Chanes Heimatland, hatte ihr Leben durch die Begegnung mit zwei Fremden und ihrem Hund eine ganze neue Wendung genommen.
Magiere, Leesil und Chap hatten einen Upír gejagt, einen Vampir, noch dazu einen der höchsten Untoten, Vneshené Zomrelé genannt, einen Edlen Toten. Als sich das Trio schließlich auf die Suche nach einem Artefakt machte, das ein Vampir namens Welstiel an sich bringen wollte, hatte Domin Tilswith Wynn mit ihrer ersten eigenständigen Mission beauftragt – eine große Ehre für eine so junge Weise.
Ihre Reisen führten sie durch die feuchten Wälder von Dröwinka, das Hügelland Strawinien, die Kriegsländer und dann weiter ins Reich der Elfen, der An’Cróan. Schließlich gelangten sie nach Süden, zu den eisigen Gipfeln des Gebirges namens Pockenhöhen. Dort endlich fanden sie das Artefakt, die »Kugel«, und auch die alten Texte, die Wynn zur Gilde mitgenommen hatte.
Doch als sie nach Calm Seatt heimkehrte, entwickelten sich die Dinge ganz anders als erwartet. Niemand glaubte Wynn, als sie von Dhampiren, Untoten, Nekromanten und Geistern erzählte. Ihre Vorgesetzten nahmen die Texte und befahlen ihr, über ihre Reisen zu schweigen. Die »dumme« Wynn Hygeorht galt plötzlich als verrückt, und man ging ihr aus dem Weg.
Und dann, vor weniger als einem Mond, waren vier Weise in Calm Seatt ermordet worden – etwas, das Wynn für einen »Wrait« hielt, hatte ihnen die Lebenskraft geraubt. Die bis dahin unbekannte rein geistige Form eines Edlen Toten hatte es auf die Übersetzungen der alten Texte abgesehen, die von Vampiren in Diensten des Alten Feindes mit den vielen Namen verfasst worden waren. Dieser Alte Feind hatte einst Horden von Untoten gegen Menschen, Zwerge und Elfen in den Kampf geschickt.
Während ihrer Reisen war Wynn immer wieder auf Hinweise gestoßen, dass jener Feind zurückkehren konnte. Das Erscheinen des Wraits, erschreckender und mächtiger als jeder Vampir, hatte sie veranlasst, mit dieser Mission zu beginnen. Sie musste mehr über die Vergessene Zeit vor über tausend Jahren herausfinden, um zu wissen, nach welchen Zeichen es Ausschau zu halten galt, sollte ein neuer Krieg drohen, und wie man ihn verhindern konnte.
Ihre Suche galt den Texten, die man ihr weggenommen hatte, denn bestimmt enthielten sie den einen oder anderen Hinweis. Daran hielt sie fest, denn sonst gab es kaum Hoffnung.
Wynn streifte die graue Kutte über
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