Dhana - Im Reich der Götter
Ihre alte Kraft kehrte
rascher zurück als am Tag zuvor. Sie versuchte den Rest ihres Traumes
zusammenzusetzen, während sie ihr Bett machte, sich das Gesicht wusch, sich die
Zähne putzte und eine Unzahl von Knoten aus ihrem Haar bürstete. Zumindest fühlte
sie sich seit Tagen zum ersten Mal wieder wie sie selbst, auch wenn sie nicht
herausfand, was ihre Träume zu bedeuten hatten.
Während der Nacht waren den Sachen in ihrem Zimmer
neue hinzugefügt worden. Auf einem Stuhl lagen ordentliche Stöße von zusammengefalteten
Hosen, Hemden, Lendentüchern, Socken und Brustbändern, alle in ihren
Lieblingsfarben. Im Gegensatz zu ihrem Traum konnte Dhana Sarras Botschaft
sehr gut verstehen. Ihre Mutter hatte vorgesorgt, als würde Dhana den Rest
ihres Lebens hier verbringen. Sie würde nicht glücklich sein, wenn sie hörte,
dass ihre Tochter weggehen wollte. Dhana musste einen klaren Kopf bekommen, um
sich auf die Auseinandersetzung mit ihren Eltern vorzubereiten. Sie zog das
Kleid von gestern an, nahm einige saubere Kleidungsstücke, die Handtücher und
die Bürste mit und ging in das Wohnzimmer. Dort saß Breitfuß auf der Anrichte
und knabberte an einer Traube herum
»Gibt es hier irgendwo eine Gelegenheit zum
Schwimmen?«, fragte sie. »Mein Kopf fühlt sich an wie Brei.« Die Augen des
Entenmaulwurfs leuchteten auf. »Dort, wo ich mich aufhalte, wenn ich hier bin,
gibt es einen Teich«, antwortete er eifrig. »Er ist sauber und ruhig und nicht
zu weit weg. Komm!« Dhana folgte ihm. Nachdem sie ein paar Minuten einen Waldpfad
entlanggegangen waren, kamen sie zu einem breiten Teich, beinahe einem kleinen
See, direkt unterhalb eines mit Brombeersträuchern bewachsenen Hanges. Kaum
hatten sie das Wasser erreicht, ließ sich ihr Führer hineinplumpsen. Dhana fand
am Ufer einige breite, flache Steine, legte ihre Handtücher dort ab und begann
sich auszuziehen.
Der Entenmaulwurf tauchte wieder auf, in seinem
Schnabel einen Frosch, den er sofort hinunterschluckte. »Beeil dich«, drängte
er. Dhana fragte sich, ob die Mahlzeit, die er gerade verschlungen hatte, auch
ein Gott gewesen war. Wurde auch er wieder geboren, wie ihr Vater das von dem
Hasen behauptet hatte?
Gewissermaßen als Antwort schnellte ein kleiner
Frosch, der genauso aussah wie der, den Breitfuß soeben verzehrt hatte, aus dem
Wasser und landete auf dem Kopf des Entenmaulwurfs. Er stieß ein krächzendes
Trillern aus, hüpfte dann auf den Weg und außer Sichtweite. Dhana kicherte und
der Entenmaulwurf starrte ihm böse nach.
»Manche Götter müssen immer herummosern, wenn sie
gegessen werden«, brummelte er und tauchte wieder. Nur mit einem Lendenschurz
und einem Brustband bekleidet, glitt Dhana ins Wasser. Es war eiskalt, von
Bergbächen gespeist. Sie schrie im ersten Schreck auf, holte dann tief Atem und
tauchte unter. Sie wusste aus Erfahrung, dass sie sich ständig bewegen musste,
dann würde ihr schon warm werden. Als sie die Augen öffnete, konnte sie fast
bis auf den Grund sehen, das Wasser war kristallklar. Breitfuß schwamm vor ihr
herum, seine Augen waren geschlossen. Kreisend ließ er sich bis auf den Grund
sinken und glitt darüber hinweg wie eine Schlange, wobei er mit seinem
Schnabel alles streifte, was ihm in den Weg kam. Bald war er außer Sichtweite,
auf der Jagd nach Beute. Die Götter der Barsche, Elritzen, Stichlinge und
Bachforellen flohen vor Dhana, kehrten dann aber in kleinen Gruppen zurück, um
sie zu beschnüffeln. Sie wich ihnen aus und ließ sich zu Boden fallen, denn sie
kitzelten. Dort saß sie und sah sich um, während die Fische sie weiter
aufmerksam betrachteten. Eine um sich schnappende Schildkröte, größer als jene,
die sie aus dem Reich der Sterblichen kannte, löste sich aus dem Schlamm und
glitt zu ihr herüber. Dhana sah ihr unbehaglich zu. Die Vorstellung, dass sich
diese furchtbaren Kiefer um irgendein Teil von ihr schließen könnten, gefiel
ihr gar nicht. Die Schildkröte umkreiste sie jedoch lediglich zweimal prüfend
und schwamm dann davon.
Dhana stieß an die Oberfläche, füllte ihre Lungen mit
frischer Luft und tauchte wieder. Ein schwarzer, tintenartiger Klumpen hob sich
ihr entgegen, als sie weiter hinausschwamm. Sie schwamm langsamer und wartete
ab. Der Klumpen vor ihr breitete sich aus, bis er Tellergröße hatte. Vorsichtig
streckte sie die Hand aus und berührte ihn. War es ein Finsterling? Sie spürte
Wärme und eine glibbrige Masse.
In der Schwärze des Finsterlings erschien ein Gesicht,
das
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