Dhana - Im Reich der Götter
ihre Beine und ihr Rücken waren
kraftlos. Ihr
Geruchssinn jedoch funktionierte so gut wie immer. Sie
atmete tief ein und erfreute sich an den guten Gerüchen in der Luft. Es roch
nach Eintopf und nach frisch gebackenem Brot. Sie hatte Hunger.
Ihr Kleid war zerknittert durch das Nickerchen auf dem
Bett, aber als sie ihre Röcke ausschüttelte, verschwanden die Knitterfalten.
Rasch wusch sie sich das Gesicht und kämmte ihr Haar, dann ging sie hinaus in
den Garten, wo sie Stimmen hörte. Noch erhellten die letzten Strahlen der
Abendsonne den Garten, aber über dem Tisch hingen bereits Kugeln aus
Hexenfeuer, die mit zunehmender Dunkelheit immer heller wurden. Drei Männer standen
auf, als Dhana den Garten betrat. Sarra, Breitfuß, Königsklaue und der Dachs
nickten ihr zu. Weiryn wies auf den ihr unbekannten Mann. »Tochter, dies ist
Gainel, der Herr der Träume und einer der Großen Götter. Gainel, meine Tochter
Veralidhana.«
Dhana blickte in ein blasses Gesicht, das von einer
ungebändig- ten Mähne dunklen Haares eingerahmt wurde. Die Augen wirkten wie
schattendunkle Vertiefungen, die sich ins Unendliche erstreckten. Während sie
hineinschaute, glaubte sie in der Ferne die Bewegung von Sternen zu sehen. Als
Gainel mit seinen kalten Händen Dhanas Hand ergriff, wurde sie in die Gegenwart
zurückgeholt. Der Gott streifte Dhanas Finger mit einem höflichen Handkuss.
»Er sagt, es sei ihm ein Vergnügen, dich kennen zu
lernen«, sagte Weiryn zu ihr. »Du musst ihn entschuldigen, als Traum-König ist
es ihm nur erlaubt, zu Sterblichen in ihren Träumen zu sprechen. Wir Götter
hören ihn«, und Weiryn tippte sich an den Kopf, »aber du nicht.«
Dhana verbeugte sich vor dem Gott. »Ich fühle mich
geehrt, Euer Majestät.«
Gainel lächelte und nahm zur Rechten von Sarra Platz.
Numair saß links von Weiryn. Für Dhana war ein Platz freigehalten worden
zwischen dem Magier und dem Entenmaulwurf. Sie stolperte, als sie versuchte
über die Bank zu klettern. Numair fing sie auf und stützte ihren Arm, bis sie
saß. Für eine Weile glich dies so sehr einer Mahlzeit unter den Reitern, in
Piratenbeute oder in der Dienstbotenhalle des Palastes, dass die verrückten
Nebenerscheinungen beängstigend wirkten. Als Geschirr und Besteck klapperten
und Platten herumgereicht wurden, gab es jedoch keine Möglichkeit mehr, sich
länger der Erkenntnis zu verschließen, dass die Gesellschaft ein
Enten-Biber-Wesen, einen Mann mit einem Geweih und einen schmächtigen, blassen
Mann einschloss, der mit den wachsenden Schatten zu verschmelzen schien, obwohl
sein Gesicht von den Hexenlampen erleuchtet wurde. Mehr als alles andere, was
Dhana gesehen hatte, seit sie aus jenem Obstgarten gerissen worden war, sagte
ihr die Zusammensetzung dieser Tafelrunde, dass Sarra Beneksri nicht mehr die
Mutter war, mit der sie in Galla zusammengelebt hatte. Die Tier-Götter, ihre
Eltern und Gainel redeten von Gedanken zu Gedanken, das konnte sie an der Art
erkennen, wie sie ihre Köpfe drehten, ihre Hände bewegten oder sich nach vorn
beugten. Dhana richtete ihre Aufmerksamkeit aufs Essen. Sie war von der
Vielfalt fasziniert. Sie hatte weder eine Kuh noch Hühner, Weizenfelder oder
Weinberge gesehen, doch es gab hier Wein, Brot, Käse und im Eintopf Huhn und
auch den Hasen. Auch wenn sie wusste, dass der Hasen-Gott in einem neuen Körper
weiterlebte, konnte sie sich nicht überwinden sein Fleisch zu essen. Als der
Weinkrug zu ihr kam, reichte sie ihn an Numair weiter, ohne sich selbst etwas
daraus einzuschenken. Wenn das Essen und das Wasser der Göttlichen Reiche ihre
Sinne zum Taumeln brachten, wollte sie sich nicht vorstellen, was Alkohol
anrichten würde.
Numair stellte Weiryn mit leiser Stimme eine Frage.
»Ein Bittgesuch an die Großen Götter, aber es wird
nicht viel
nützen«, war Weiryns Antwort, die von allen gehört
werden konnte. »Sie sind im Augenblick zu sehr damit beschäftigt, gegen Uusoae
zu kämpfen, als dass sie Sterbliche zurück nach Hause bringen könnten. Sie
würden nicht einmal auf gedankliche Rufe von uns niederen Göttern antworten.«
Numair sah Gainel an. »Verzeiht mir«, sagte er, »aber
unsere Freunde zu Hause stehen unter großem Druck. Könnt Ihr uns nicht
vielleicht nach Hause schicken? Ihr seid einer der Großen Götter und Ihr seht
nicht so aus, als wärt Ihr in eine Schlacht mit der Königin des Chaos
verstrickt.«
Gainel lächelte, seine schattenhaften Augen flimmerten
und er schüttelte den Kopf.
»Er sagt, du
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