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Dich schlafen sehen

Dich schlafen sehen

Titel: Dich schlafen sehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brasme
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Mädchen, ungebärdig und temperamentvoll. Ein ziemlich unerschrockenes und wildes Kind, das seine Eltern oft in peinliche Situationen brachte und sie gelegentlich überforderte. Wo ich auch einen Fuß hinsetzte, erinnerte man sich später an den Satansbraten, der in aller Öffentlichkeit gebrüllt, ein anderes Kind an den Haaren gezogen oder einem Erwachsenen eine freche Antwort gegeben hatte. Im Grunde liebte ich das Leben. Ich genoss es gierig in vollen Zügen. Und das war für meine Mutter schwer zu ertragen.
    Auf die Wutanfälle und Temperamentsausbrüche folgte das Bedürfnis nach Einsamkeit, folgten Stunden, in denen ich in Ruhe das Leben vor mir betrachtete. Ich hatte mehr als genug Liebe in mir. Aber ich war wohl zu allein.
    Ich verstand die Welt nicht. Sie offenbarte sich mir als ein sonderbares Gefüge. Ich existierte nicht, ich hatte das Gefühl, dass alles, was ich sehen und berühren, hören und riechen konnte, ohne Konsistenz war. Ich lebte in einer Welt der Stille und der Fragen, der Abstraktion, der Spiele und Schreie, des Lachens und Weinens, der Freudenausbrüche und des Lichts, aber ich hatte nichts unter Kontrolle.
    Jede Kindheit hat ihre Gerüche, ihre berauschenden Augenblicke, ihren Schmerz. An meine erinnere ich mich wie an eine Angst.
    Die allerersten Jahre meines Lebens waren erfüllt von der Gegenwart einer Fantasiegestalt, die mir jeden Abend im selben Traum erschien. Einer kleinen Frau, die sich vor einem orangefarbenen Hintergrund bewegte, eine winzige und zerbrechliche Gestalt mit kurzen Haaren, die leuchtende Kleider trug. Weit hinter ihr wimmelte es von Menschen ohne Gesichter und Stimmen. Nach einer gewissen Zeit wollte ich nicht mehr, dass sie kam, und ich sagte ihr immer wieder, dass sie fortgehen solle, doch sie bestand darauf dazubleiben, bis ich eingeschlafen war. Ich glaube, in dem Moment, als sie beschloss, mich zu verlassen, kam die Angst.
    Ich träumte, dass der Boden unter jedem Tritt von mir nachgab, bis ich irgendwann nicht mehr laufen konnte. Die Menge um mich herum wollte nicht weitergehen. Die Leute kamen näher, aber wenn sie mit mir sprechen wollten, quoll, ohne dass sie es verhindern konnten, Spucke zwischen ihren Lippen hervor, und der Schaum vor ihrem Mund erstickte jedes Wort, das sie hervorbrachten. Ich konnte nichts verstehen.
    Später folgten noch schrecklichere Ängste. Wie die vor dem Monster, das sich in meinem dunklen Zimmer versteckte; wenn es Nacht war und ich mich in meine Decke gekuschelt hatte, spähte ich aus Angst, es könnte mich überrumpeln, in seine Richtung und flüsterte ihm flehende Worte zu, um seinen Zorn zu besänftigen. Schließlich folgte die Angst vor dieser Frau in Weiß, die, sowie das Licht gelöscht war, in dem großen Spiegel erschien; ich fürchtete, mitten in der Nacht ihr bleiches und ausdrucksloses Gesicht zu erblicken, deshalb drehte ich jeden Abend den Spiegel zur Wand, und das, bis ich fünfzehn war.
    Ich weiß nicht, ob ich ein anderer Mensch geworden wäre, wenn ich in anderen Familienverhältnissen gelebt hätte. Sicherlich haben mich meine Eltern geliebt. Zu sehr vielleicht. Und auf eine Weise, die mehr in materiellen Dingen als in Gefühlen ihren Ausdruck fand. Ich weiß es nicht mehr, ich habe es vergessen. Nach Jahren frage ich mich noch, warum sie mehr schlecht als recht versucht haben, meinem leeren Leben einen Inhalt zu geben. Ich hatte sie nicht darum gebeten. Es wäre mir lieber gewesen, sie hätten mich nicht ausstehen können: dann wäre das Ende weniger schmerzlich gewesen, für sie wie für mich.
    Maman war eine sehr praktische, sehr nüchterne Frau. Bei ihr musste alles perfekt sein, mir kam sie vor wie ein Eisblock. Natürlich, mit fünf verstehen wir die Menschen, die uns umgeben, noch nicht sehr gut. Ein bisschen Schmusen und ein Spielzeug von Zeit zu Zeit genügen, um uns glücklich zu machen. Aber später kommen viel tiefere Bedürfnisse hinzu, und die konnte meine Mutter nicht befriedigen. Ich habe sie geliebt, aber bestimmt nicht so, wie es hätte sein sollen. Und je älter ich wurde, desto höher wuchs die Mauer zwischen uns. Am Tag meiner Verurteilung brach sie im Gerichtssaal zusammen und schrie, dass
sie es sei, die ich umgebracht hätte
, ehe man sie hinausbrachte, um ihr Tabletten zu geben. Das war, glaube ich, das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe. Der Geruch ihres Parfums war mir schon viel früher abhanden gekommen.
    Was meinen Vater angeht, so war es seine häufige Abwesenheit, die mich

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