Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär
Reverenz. Die beiden stiegen auf ihre Stühle, sehr gemessenen Schrittes, unter Anfeuerungsrufen ihrer Fans. Dann wurde im Orchestergraben ein mächtiger Gong geschlagen, und das Duell begann.
Po war der Herausforderer, also mußte er den Kampf eröffnen. Sinngh lehnte sich entspannt zurück. Er war seit sechs Monaten Inhaber des Königstitels und erwartete gelassen den Eröffnungszug des Herausforderers.
Deng Po begann mit einer Geschichte aus seiner Heimat, einer filigran aufgebauten Märchengeschichte, in der verschiedene chinesische Wind- und Wassergeister eine wichtige Rolle spielten, wenn ich mich recht entsinne. Die Geschichte war sauber und ohne Lampenfieber vorgetragen, mit ein paar humoristischen Zwischenbemerkungen und einem dramatischen Schluß.
Das Publikum applaudierte höflich, der Applausmesser zeigte auf 2,5, und Sinngh machte sich an seine Erwiderung. Er konterte mit einer Geschichte aus seiner Heimat, in der es um die Erfindung des Reiskorns ging, die Sinngh für sich beanspruchte, und um einen epischen Roman, den er mit der Wimper einer Mücke daraufgeschrieben hatte.
Die Geschichte war wesentlich spannungsreicher aufgebaut als die seines Gegners, mit haarsträubenden wissenschaftlichen Details und jeder Menge scharfem Witz angereichert. Außerdem besaß Sinngh höhere schauspielerische Fähigkeiten, er wußte sich besser zu artikulieren, seine Gesten saßen sicher, seine Mimik bezauberte das Publikum. Er bekam eine glatte Sechs auf dem Applausmesser.
Deng ließ sich dadurch wenig beeindrucken. Seine zweite Geschichte, eine Art Anglerlatein aus dem Chinesischen Meer, bei dem es um den Fang eines riesigen Goldfisches aus purem Gold ging, hatte er sich offensichtlich zur Steigerung aufgespart. Auch sein Vortrag wurde besser, seine Gesten souveräner. Er reicherte die Geschichte mit erfundenen biologischen Fakten über Goldfische und satirischen Randbemerkungen über die chinesischen Fischfangbehörden an, die im Publikum besonders unter den Rikschadämonen für heftiges Gelächter sorgten. Er bekam eine 3,8 auf der Skala, nicht schlecht für einen Herausforderer in diesem frühen Stadium des Duells.
Ab hier läßt mein Erinnerungsvermögen ein wenig nach, ich kann mich an die Einzelheiten der Lügengeschichten kaum noch erinnern, aber ich weiß, daß es ein ausgeglichener und spannender Kampf wurde, der über drei Stunden ging. Die Geschichten wurden immer ausgefuchster und phantasievoller, die Details subtiler, die Pointen verstiegener. Mal schlug die Gunst des Publikums für Sinngh auf der Skala zu Buche, mal für Deng, aber niemals schlug der Zeiger in Bereiche unter vier, was auf ein hohes Niveau der dargebotenen Geschichten hindeutete.
Schließlich siegte mehr oder weniger erwartungsgemäß Selbender Sinngh und damit die Erfahrenheit, denn Deng Po hatte seine Kräfte anscheinend noch nicht richtig einzuteilen vermocht und sackte im letzten Drittel des Kampfes deutlich ab. Deng hatte sein bestes Pulver in der Mitte des Duells verschossen, während sich Sinngh die besten Geschichten für den Schluß aufgespart hatte. Schließlich warf Deng seinen Umhang ab, das Zeichen seiner Unterwerfung, denn ein Lügenduell währt immer so lange, bis ein Gladiator aufgibt.
Sinngh hatte verdient, aber nicht spektakulär gewonnen und wurde noch eine Stunde lang von ausgelassenen Blutschinken durch das Megather getragen. Dann spielte das Bergzwergorchester ein zamonisches Schlaflied, und die Tore wurden geöffnet, um das Publikum in die Nacht zu entlassen.
Leicht beschwipst vom heißen Bier gingen wir in der schwülen Nacht nach Hause und diskutierten den Kampf. Heftige Blitzgewitter tobten in den Straßen und tauchten Atlantis in flackerndes blaues Licht.
Chemluth hatte eine kleine Summe auf den Außenseiter gesetzt und verloren, er war dementsprechend enttäuscht von der Leistung seines Favoriten. Ich war rundum begeistert, denn für mich war das alles neu. Noch nie hatte mich ein kulturelles Ereignis derart mitgenommen, ich war fasziniert von der Tatsache, daß man aus einer verpönten Fähigkeit wie das Lügen einen spannenden Sport machen konnte, ich hatte mehrere Fingernägel abgekaut und mußte immer noch über der brillanten Pointen von Sinngh lachen. Aber da war auch etwas, das an mir nagte. Während des Kampfes hatte ich mich in die Gladiatoren hineinversetzt und mir meine eigenen Kampfstrategien erdacht, meine eigenen Lügengeschichten zusammenphantasiert. Und ich war dann manchmal leicht
Weitere Kostenlose Bücher