Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär
unseres Einkommens geworden, durch unsere wachsenden Kenntnisse hatten wir bei so manch einem Haupt- und Nebenkampf richtig getippt. Bei jedem Duell machte ich mir Notizen, ging die Kämpfe dann zu Hause durch, erarbeitete Lügenstrategien und lernte die Namen der bisherigen Lügenkönige auswendig. Gabrosiek Nassatrams, Krongtep Kran, Nussram Fhakir, Brutan Cholltokker, Chulem Cherzz, Salguod Smadada der Jüngere,Colporto Poltörky, Gnotee Valtrosem der Grausame, Yongyong Tom, Hüsker von Grübezahl, Vlomoot Lomootvlo, Bemmbemm Chirella und all die anderen - ich kannte die Endergebnisse, die einzelnen Zwischenstände und die Dauer jedes einzelnen Duells, das je in Atlantis stattgefunden hatte.
Wir warfen unsere abgenagten Maiskolben auf die Bühne, weil die Gladiatoren wieder einmal auf sich warten ließen. Endlich erschien Selbender und bestieg seinen Thron. Wir Chemluth machte gelegentlich Witze über meinen Fanatismus, ließ aber selber keinen Kampf aus.
huldigten ihm noch ein bißchen durch Gesänge, dann wurde es still. Ein Gong, und sein Herausforderer trat auf die Bühne. Es war der Stollentroll.
Ich hätte nicht überraschter sein können, wenn ich mich selber auf die Bühne hätte treten sehen. Das war eindeutig diejenige Person aus all meinen ehemaligen Leben, der ich am wenigsten noch einmal begegnen wollte. Noch dazu angetan mit der mir heilig gewordenen Robe eines Lügengladiators. Wie konnte eine so verkommene Kreatur es schaffen, den Beruf eines Lügengladiators zu ergreifen, während ich in der Senffabrik die Essigeimer auswaschen mußte? Ich war sehr aufgebracht und erzählte Chemluth von meiner Bekanntschaft mit dem Troll.
»Ga!« sagte Chemluth. »Ein Schurke! Macht nix. Wenn er gut lügt...«
Ein guter Lügner war er, das wußte ich aus Erfahrung. Das Duell begann, und der Troll mußte als Herausforderer mit seiner Geschichte beginnen. Er erzählte eine weinerliche Begebenheit aus seiner Kindheit, wie alle auf ihm herumgetrampelt hatten und so weiter - das ganze widerliche Geschwätz, das ich schon aus unserer Begegnung kannte. Aber zwischen ihm und dem Publikum ging etwas Erstaunliches vor sich. Er verknüpfte seine Lebensgeschichte mit einem Lügengarn über das Stollenwesen der Finsterberge und darüber, wie er sich aufopfernd bemüht hatte, Verirrte daraus in die Freiheit zu führen. Mir drehte sich der Magen um, aber es gelang ihm, sich in die Herzen der Zuschauer zu lü- gen und sie zu Tränen zu rühren. Es gab einen ergriffenen Applaus, der sich in kolossalen acht Punkten niederschlug. Seihender Sinngh kam mit seiner Geschichte nur auf sechs. Ich muß gestehen, daß der Stollentroll wirklich das Zeug zum Lügengladiator hatte. Seine Geschichten waren originell und lebhaft vorgetragen, er verfügte über verblüffendes schaupielerisches Können. Er konnte brillant Stimmen imitieren und beherrschte eine ausdrucksvolle Gebärdensprache, was seinen Vortrag sehr überzeugend machte. Vor allen Dingen konnte er mit einer Skrupellosigkeit lügen, die selbst für Lügengladiatoren außergewöhnlich war. Er konnte sich krümmen und biegen wie eine Knetfigur, er verfügte über eine extrem elastische Gesichtsmuskulatur, und er hatte Sinn für Humor, wenn auch einen sehr seltsamen.
Selbender war dagegen eher steif, der Gentleman-Gladiator mit den guten Manieren. Er war jetzt ziemlich lange im Amt, und seine Methoden waren dem Publikum sattsam bekannt. Dieser verrückte Gnom versprach etwas Neues. Als schließ- lich selbst Chemluth plötzlich für den Troll applaudierte, wußte ich, daß Selbender in Schwierigkeiten war.
Auch die nächsten vier Runden gewann der Stollentroll, sehr zu meiner Empörung. Ich fand Selbenders Geschichten viel besser und klatschte und pfiff, wenn es um seine Punkte ging, aber das Publikum war eindeutig auf der Seite des Trolls. Es ließ ihm sogar manch matte Pointe oder schlecht konstruierte Geschichte durchgehen, wenn er nur seine Faxen und Grimassen machte. Es war Teil der Schönheit, aber auch der Tragik des Gladiatorensports, daß letztendlich das Publikum bestimmte, wer auf dem Thron saß.
Selbender gewann von fünfzehn Runden nur drei. In Runde sechzehn, nachdem der Troll eine 9,5 auf der Anzeigetafel erreicht hatte, warf er den Umhang. Er war den Tränen nahe. Der Stollentroll, oder Lord Nelloz, wie er sich jetzt nannte, war neuer Lügenkönig von Atlantis.
Die Übernahme des Königstitels durch den Troll zügelte meine Begeisterung für den Lügensport
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