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Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Titel: Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Moehrs
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daß eine gute Notlüge oft wesentlich aufregender ist als die Wahrheit. Es ist so, als würde man der Wirklichkeit ein schöneres Kleid geben.
    Für einen Zwergpiraten gab es nichts Schlimmeres als die Langeweile. Sobald sich einer von ihnen auch nur ein kleines bißchen langweilte, führte er sich dermaßen gequält auf, daß es einem ans Herz ging. Er seufzte und stöhnte und drohte dem Himmel mit seiner Hakenhand, raufte sich die Haare und zerriß manchmal sogar seine Kleidung. Was alles nur noch schlimmer machte, denn dann jammerte er über die Risse in seiner Garderobe und klagte das Schicksal an, ihn mit Tragik zu überschütten. Da aber auf See die Langeweile häufiger Gast an Bord eines jeden Schiffes ist, herrschte eigentlich ständiges Gejammer und Gestöhne unter den Zwergpiraten. Wenn nicht gejammert wurde, wurde geprahlt. Wenn weder gejammert noch geprahlt wurde, grölte man Piratenlieder. In dieser Atmosphäre wuchs ich auf.
    Ich wurde zum eigentlichen Lebensinhalt der Zwergpiraten. Ihr ganzes Dasein drehte sich in den fünf Jahren, die ich bei ihnen war, fast nur um mich. Es war, als hätte ich ihrem absurden Leben endlich einen Sinn gegeben. Sie bemühten sich rührend, mir alles beizubringen, was sie über das Kaperwesen und das Piratenleben wußten. Ganze Tage verbrachten sie damit, mir schauerliche Piratenlieder vorzusingen, mit Fluchen, dem Hissen von Totenkopfflaggen und dem Anfertigen von Schatzkarten. Einmal versuchten sie sogar mir zuliebe, ein Schiff zu kapern, das mindestens tausendmal größer war als ihr eigenes. An diesem Tag habe ich alles gelernt, was man über das Scheitern wissen muß. Ansonsten lernte ich das Seemannshandwerk vom Ankerholen über Kalfatern bis zum Wantenspannen, nur vom Zusehen und Mithelfen.
    Mit dem Deckschrubben fing es an. Es kann eine hohe Kunst sein, das Deck zu schrubben, blitzeblank, bis jede gefräßige Bakterie vom Holz ist, aber auch nicht zu glatt gebohnert, damit man noch guten Halt hat (was bei den dünnen Holzbeinchen der Zwergpiraten von besonderer Wichtigkeit war). Schmierseife mit einem leichten Anteil von Treibsand ist das ideale Scheuermittel zum Deckschrubben: die Seife für die keimfreie Reinigung und der Treibsand für die Bodenhaftung. Ich lernte das Segeln am Wind, das Segeln hart am Wind und das Rumhängen in der Flaute ohne Wind, ich lernte eine Bagstagsbrise auszunutzen, das Halsen, das Wenden auf rauher See und die nautische Vollbremsung (ein Trick, den nur die Zwergpiraten beherrschten, um auf hoher See nicht mit einem größeren Fisch zusammenzustoßen. Das fing bei ihnen ja schon beim Kabeljau an).
    Eines der wichtigsten Dinge im Leben eines Seemanns ist der Knoten. Damit ist nicht die Geschwindigkeit eines Schiffes gemeint, die man auch in Knoten mißt, nein, ich meine die mannigfachen Möglichkeiten der Verknüpfung eines Hanfseils. Ich lernte 723 verschiedene Versionen, einen Knoten zu schürzen, und die kann ich heute noch auswendig. Ich kann (natürlich) den einfachen Seemannsknoten, aber auch den doppelten Zwergpiratenschürzling, die Sturmkrawatte und den Gänsegalgen, die Klabauterfessel und sogar den doppelten Gordischen Knoten. Ich beherrsche den gewickelten Hänfling genauso gut wie die achtschlaufige Oktopusschlinge, ich knote das Manilareep mit der Hanffaser, ich könnte mit verbundenen Augen zwei Aale so kompliziert verknoten, daß sie ihr Lebtag nicht mehr auseinander kommen. Ich wurde so etwas wie der Oberknotmeister auf dem Zwergpiratenschiff; wenn man einen Knoten benötigte, kam man zu mir. Ich könnte einen Knoten in einen Fisch machen, und, wenn es sein müßte, im absoluten Notfall, sogar einen Knoten in einen Knoten.

    Besonders wichtig auf See ist natürlich die Navigation. Die Zwergpiraten hatten kaum technische Hilfsmittel, selbst ein Kompaß war ihnen fremd. Sie steuerten nach einem System, das auf der Beobachtung von Wellenbewegungen basierte. Wenn man Wellen lange genug beobachtet, erkennt man, daß sie alle unterschiedlich sind. Man sagt zwar, eine Welle sieht wie die andere aus, aber dem ist nicht so: Jede einzelne hat eine eigene Form der Rückenkrümmung, manche gehen steil und spitz, manche rund und flach, es gibt dicke und dünne, grüne und blaue, schwarze und braune, durchsichtige und trübe, große und kleine, breite und lange, kalte und warme, salzige und süße, laute und leise, schnelle und langsame, harmlose und lebensgefährliche.
    Jede Welle hat sozusagen eine eigene Statur, ein eigenes

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