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Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Titel: Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Moehrs
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schwimmende Miniaturkirmes, inklusive Geräuschkulisse. Die Zwergpiraten hatten nämlich einen fürchterlichen Bammel vor der Dunkelheit. Sie glaubten, die Nacht sei die Zeit der Klabautergeister, welche kämen, um die Seelen der Seefahrer zu verspeisen. Und diese Gespenster seien eben nur durch verschwenderische Beleuchtung und größtmögliche Lärmentfaltung zu verscheuchen. Die Zwergpiraten beleuchteten also nicht nur ihr Schiff mit Lampions, Fackeln, farbigen Lichterketten, Wunderkerzen und kleinen Feuern, sie jagten auch unablässig eine Signalrakete nach der anderen in den Himmel und veranstalteten durch Singen, Schreien und das Schlagen von Gußhämmern auf eiserne Töpfe ein solches Höllenspektakel, daß man nachts kein Auge zubekam. Geschlafen wurde am Tag. Und nie wurden wir von Klabautergeistern belästigt.
    Und nun also zum ersten Mal Dunkelheit. Und mit der Finsternis kam ein neues Gefühl, das ich bisher noch nie ertragen mußte: Angst!
    Ein sehr unangenehmes Gefühl, als sei die Dunkelheit in meinen Körper gedrungen und würde nun durch meine Adern fließen. Die fetten grünen Palmen, die sich eben noch so beruhigend im Wind gewiegt hatten, waren jetzt zu schwarzen, schwankenden Baumkerlen geworden, die sich mit riesigen Pranken schreckliche Botschaften zuwinkten. Am Himmel stand eine magere Mondsichel, die ich mit Erstaunen wahrnahm, denn bei dem ewigen Lichterfest an Bord war sie mir nie aufgefallen. Der Wind rauschte durch die Farne des Palmenwaldes und verwandelte sie in eine Meute wispernder Gespenster, die sich immer dichter um mich drängten und mit dünnen Fingern nach mir tasteten. Plötzlich mußte ich an die Klabautergeister denken. Ich versuchte, den Gedanken zu unterdrücken, aber es ging nicht. Mir fehlte der hysterische Lärm der Zwergpiraten, ihr Geschrei und vor allem ihr verschwenderisches Licht. Das Licht, das die Klabautergeister fernhielt. Ich war am absoluten Tiefpunkt meines jungen Lebens angelangt: ausgestoßen, nackt, einsam, mitten in einem finsteren, unbekannten Wald und voller Angst. Plötzlich nahm ich zwischen den Palmenstämmen sehr beunruhigende Lichter wahr. Grüne Lichtfäden, schlangengleich, zunächst ganz fern, die aber schnell immer näher kamen. Dazu ein hohes, gemeines elektrisches Summen und gelegentlich ein hohles, Meckerndes Gelächter, wie von gehörnten Wesen, die in Brunnenschächten sitzen. So kündigten sich, das wußte ich von den Zwergpiraten, die Klabautergeister an.

    Aus dem
»Lexikon der Erklärungsbedürftigen Wunder,
Daseinsformen und Phänomene Zamoniens
und Umgebung«
von Prof. Dr. Abdul Nachtigaller
    Klabautergeist, der: Der Klabautergeist gehört zu den sogenannten Allgemeingeschmähten Daseinsformen [vergleichsweise auch: -> Waldspinnenhexe, die, ->Stollentroll, der und -> Bollogg, der ], worunter diejenigen Lebewesen Zamoniens und Umgebung gezählt werden, deren vorsätzlicher Lebensinhalt es ist, unter ihren Zeitgenossen Angst und Schrecken zu verbreiten und sich auch sonst in jeder Form unsozial, harmoniestörend und frohsinnmindernd aufzuführen. Von äußerlich abstoßendem bis panikauslösendem Aussehen, erscheint der Klabautergeist meist im Rudel und unter Hervorbringung beängstigender Geräusche und grusliger Gesänge gerne möglichst wehrlosen Kreaturen, um sich an deren Unbehagen zu ergötzen.
    Das war zuviel für mich. Ich spürte, wie eine heiße Flüssigkeit in meinem Kopf aufstieg. Meine Augen, mein Mund, meine Nase füllten sich damit, und ich konnte nichts anderes tun, als diesem inneren Druck nachzugeben: Ich weinte. Zum ersten Mal in meinem Leben! Dicke, salzige Tränen liefen in mein Fell, meine Nase triefte, und mein ganzer Körper schüttelte sich im Takt meines Schluchzens. Alles andere war jetzt gleichgültig.
    Die Klabautergeister, die mich umringten, die Dunkelheit, die Angst - alles war zweitrangig vor diesem gewaltigen Ausbruch der Gefühle. Ich heulte und schluchzte, strampelte mit den Beinchen und schrie mir die Seele aus dem Leib. Wie zwei kleine Sturzbäche strömten die Tränen in mein Fell, bis ich aussah wie ein nasser Waschlappen. Ich gab mich ganz dem Zusammenbruch hin.
    Dann kam die Ruhe. Die Tränen versiegten, die Schluchzwellen ebbten ab. Ein beruhigendes Gefühl von Wärme und Müdigkeit übermannte mich. Die Angst war verschwunden. Ich hatte sogar den Mut, aufzublicken und den Klabauteregistern ins Gesicht zu sehen. Sie schwebten im Halbkreis um mich herum, sechs oder sieben wabernde Gestalten aus

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