Die 2 Chance
flockenartige Rückstände. Es handelte sich um winzige Fetzen menschlicher Haut.
Die arme Frau hatte verzweifelt jemanden gekratzt
.
Laut Cindy hatte sie sich nicht selbst aufgehängt.
Man hatte die Frau gelyncht.
Als ich am Tatort bei der Kirche stand, hatte ich das ungute Gefühl, Cindy könnte Recht haben. Vielleicht handelte es sich hier nicht um den ersten, sondern den zweiten Mord aus Rassenhass.
Jacobi kam zu mir. Er hielt den zusammengerollten
Chronicle
hoch. »Schon gesehen, Boss?«
Die Titelseite wurde von einer schrillen Schlagzeile beherrscht: ELFJÄHRIGE VOR KIRCHE ERMORDET – POLIZEI RATLOS
»
Deine
Freunde!«, stieß Jacobi wütend aus. »Immer auf unsere Kosten!«
»Nein, Warren.« Ich schüttelte den Kopf. »Meine Freunde haben so billige Tricks nicht nötig.«
Hinter uns war Charlie Clappers Mannschaft der Spurensicherung tätig. Sie suchten sorgfältig den Boden ab, auf dem sich der Scharfschütze bewegt hatte. Sie fanden etliche Fußabdrücke, die jedoch nicht zu identifizieren waren. Jede leere Patronenhülse musste auf Fingerabdrücke untersucht werden. Sie würden auch jedes Staubkörnchen und jede Stofffaser von der Stelle einsammeln, wo das mutmaßliche Fluchtfahrzeug geparkt hatte.
»Irgendwelche neuen Ergebnisse zum weißen Van?«, fragte ich Jacobi. Eigenartigerweise war es ein schönes Gefühl, wieder mit ihm zusammenzuarbeiten.
Er schüttelte den Kopf. »Ein Hinweis war, dass ein paar Penner an dem Abend in dieser Ecke ein Kaffeekränzchen gehabt haben. Bis jetzt haben wir nur das.« Er entfaltete das Phantombild von Bernard Smiths Beschreibung: Ein zweiköpfiger Löwe, der Aufkleber auf der Hintertür des Vans.
Jacobi verzog die Lippen. »Sind wir hinter dem
Pokémon-Killer
her, Lieutenant?«
In diesem Moment sah ich Aaron Winslow aus der Kirche kommen. Eine Gruppe von Demonstranten, die hinter der Polizeiabsperrung vierzig Meter entfernt stand, wollte zu ihm. Als er mich sah, spannten sich seine Züge an.
»Die Leute wollen unbedingt helfen. Die Einschusslöcher übermalen, eine neue Fassade bauen«, sagte er. »Sie wollen diesen scheußlichen Anblick nicht ertragen.«
»Tut mir Leid«, sagte ich. »Aber die Tatortermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.«
Er holte tief Luft. »Ich lasse alles immer wieder im Kopf ablaufen.
Ich
habe genau in der Schusslinie gestanden, Lieutenant, und war viel besser zu sehen als die kleine Tasha. Wenn der Schütze jemandem wehtun wollte,
warum hat er nicht auf mich geschossen?
«
Winslow kniete nieder und hob eine rosa Haarspange vom Boden auf. »Irgendwo habe ich gelesen, dass ›Mut im Überfluss vorhanden ist, wo Schuld und Wut ungehindert ausströmen‹.«
Winslow nahm es sehr schwer. Er tat mir Leid. Ich mochte ihn. Er rang sich ein Lächeln ab. »Aber dieser Dreckskerl schafft es nicht, unsere Arbeit zunichte zu machen. Wir geben nicht klein bei. Wir werden den Gottesdienst für Tasha hier in dieser Kirche abhalten.«
»Wir wollen der Familie unser Beileid aussprechen«, sagte ich.
»Sie wohnt da drüben. Haus A.« Er deutete zur Siedlung. »Ich nehme an, man wird Sie herzlich aufnehmen, da einer von ihnen zu Ihren Leuten gehört.«
Verblüfft schaute ich ihn an. »Entschuldigung, wie war das?«
»Haben Sie nicht gewusst, Lieutenant, dass Tasha Catchings Onkel Polizist ist?«
Ich besuchte die Catchings in ihrer Wohnung, sprach ihnen mein Beileid aus und fuhr zurück ins Präsidium. Das Ganze war unglaublich deprimierend.
»Mercer sucht Sie«, rief Karen, unsere langjährige Sekretärin, als ich ins Büro kam. »Er klingt stinksauer. Aber so klingt er eigentlich immer.«
Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie die Falten im Doppelkinn des Chiefs immer tiefer wurden, während er die Schlagzeilen vom Nachmittag las. Das ganze Präsidium sprach schon darüber, dass das Mordopfer von La Salle Heights mit einem unserer Kollegen verwandt war.
Auf meinem Schreibtisch warteten mehrere Nachrichten auf mich. Bei den Telefonnotizen stieß ich ganz unten auf Claires Namen. Tasha Catchings Obduktion müsste inzwischen abgeschlossen sein. Ich wollte Mercer hinhalten, bis ich etwas Konkretes zu melden hatte, deshalb rief ich Claire an.
Claire Washburn war die klügste und gewissenhafteste Pathologin, die die Stadt je gehabt hatte, und außerdem war sie zufällig meine beste Freundin. Das wussten alle, die mit der Polizei zu tun hatten, und auch, dass sie die Abteilung reibungslos leitete, während der Chefgerichtsmediziner Righetti,
Weitere Kostenlose Bücher