Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 04 - Der wahre Drache
genauso sehr wie damals, als sie mich verlassen hat. Damals habe ich geglaubt, dass ich sie finden würde, sobald alle Aufgaben erledigt wären, und irgendwie wären wir dann zusammen glücklich geworden. Und hier sind wir nun, sechzehn Jahre später, und ich habe noch immer keinen Weg zu ihr zurück gefunden.«
Nessel stand da, die Hand auf der Tür. Ihr war die Situation sichtlich unangenehm. Dann sagte sie: »Vielleicht erzählst du diese Dinge der falschen Frau.« Und damit war sie durch die Tür und weg.
Ein paar Tage später fand Sieber mich in der Messe. Er setzte sich auf die Bank mir gegenüber. »Nessel hat mir einen Brief für ihre Mutter und Brüder gegeben. Sie hat gesagt, ich solle ihn mitnehmen, wann immer ich das nächste Mal für dich dorthin gehe.« Er griff über den Tisch und nahm ein Stück Brot von meinem Teller. Er biss hinein und fragte mit vollem Mund: »Wird das bald der Fall sein?«
Ich dachte darüber nach. »Morgen früh«, schlug ich vor.
Er nickte. »Ich dachte mir schon, dass es dann so weit ist.«
Ich ritt mit Meine Schwarze zum Markt von Burgstadt hinunter und diskutierte den ganzen Weg mit ihr. Ein halbes Jahr lang hatte sie einen Stallburschen ertragen müssen, dessen Vorstellung von Übung für sie darin bestand, sie aus der Box zu holen, ein paar Mal auf der Weide im Kreis laufen zu lassen und wieder hereinzubringen. Sie war gereizt und grob, kaute auf ihrem Gebiss und ignorierte die Zügel. Ich schämte mich dafür, dass ich sie so vernachlässigt hatte. Ich besuchte den Wintermarkt und ritt mit gezuckertem Ingwer und zwei Armeslängen roter Spitze wieder heim. Die gab ich in einen Korb zusammen mit einer stibitzten Flasche Löwenzahn wein. Dann verbrachte ich die ganze Nacht mit einem Blatt guten Papiers vor mir, und es gelang mir tatsächlich, drei ganze Sätze zu formulieren. »Ich erinnere mich an deinen roten Rock. Du bist vor mir die Klippe hinaufgeklettert, und ich habe deine nackten, sandigen Fesseln gesehen. Ich habe geglaubt, mein Herz würde mir aus der Brust springen.« Ich fragte mich, ob sie sich überhaupt an dieses Picknick vor so vielen Jahren erinnerte, als ich es noch nicht einmal gewagt hatte, sie zu küssen. Ich versiegelte den Brief mit einem Wachstropfen. Viermal brach ich ihn anschließend wieder auf und suchte nach besseren Worten. Schließlich vertraute ich ihn jedoch Sieber so an, wie er war, und wünschte mir die nächsten vier Tage, ich hätte es nicht getan.
In der vierten Nacht drückte ich den Hebel, der die Tür zu Nessels Schlafzimmer öffnete. Ich ging nicht hinein und rief sie zu mir, wie Chade es bei mir immer getan hatte. Stattdessen ging ich die steilen Stufen halb hinunter und ließ eine brennende Kerze dort. Dann stieg ich wieder hinauf und wartete.
Das Warten schien ewig zu dauern. Ich weiß nicht, was sie schließlich aufweckte, das Licht oder der Luftzug, aber schließlich hörte ich ihre zögernden Schritte auf der Treppe. Ich hatte ein Feuer in der bequemen Ecke des Raums gemacht.
Nessel spähte durch die Geheimtür, sah mich und trat so vorsichtig ein wie eine Katze. Langsam ging sie an dem Arbeitstisch vorbei, wo noch immer verölte Schriftrollen lagen, und noch langsamer schritt sie dann am Kochherd mit den Töpfen und Pfannen vorbei. Schließlich erreichte sie einen der Stühle am Kamin. Sie trug ein Nachtgewand und hatte sich einen Schal um die Schultern geschlungen. Sie zitterte.
»Setz dich«, lud ich sie ein, und das tat sie auch, langsam. »Hier arbeite ich«, erzählte ich ihr. Das Teewasser hatte just zu kochen begonnen, und ich fragte sie: »Möchtest du eine Tasse Tee?«
»Mitten in der Nacht?«
»Ich arbeite viel in der Nacht.«
»Die meisten Menschen schlafen da.«
»Ich bin nicht wie die meisten Menschen.«
»Ja, das ist wohl so.« Sie stand auf und schaute sich die Gegenstände auf dem Kaminsims an. Da stand die Wolfsfigur, die der Narr geschnitzt hatte, und daneben der Erinnerungsstein mit einem ähnlichen Gesicht, das sich nach außen wölbte. Nessel berührte das Heft des Obstmessers, das dort steckte, und blickte mich fragend an. Dann streckte sie die Hand nach Chivalrics Schwert aus.
»Du kannst es herunternehmen, wenn du willst. Es hat deinem Großvater gehört. Aber sei vorsichtig. Es ist schwer.«
Sie nahm die Hand herunter. »Erzähl mir von ihm.«
»Ich kann nicht.«
»Ist das schon wieder ein Geheimnis?«
»Nein. Ich kann dir nichts von ihm erzählen, weil ich ihn nie kennen gelernt
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