Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 04 - Der wahre Drache
Besuch in ihrem Haus wiederum brachte mir vielleicht nicht mehr ein als einen verstohlenen Kuss, doch jeder einzelne davon war den langen Ritt wert. Ich glaube nicht, dass wir Chivalric lange getäuscht haben, und Nessels Bemerkungen zeigten mir eindeutig, dass sie Bescheid wusste. Doch um der kleineren Jungen willen gingen wir behutsam vor, und ich habe die Zeit nie bereut, die es mich gekostet hat, ihre Achtung zu gewinnen.
Niemand war überraschter als ich, als Standfest auf den Ruf antwortete. Zunächst schien er kein sonderlich starkes Talent für die Gabe zu haben, doch schon bald entdeckten wir eine Stärke und Ruhe in ihm, die ihn zum idealen Königs Born machten. Nessel war stolz auf ihn und nahm ihn unter ihre Fittiche, und ich war dankbar dafür, denn der Aufenthalt ihres Sohnes in Bocksburg diente Molly als Entschuldigung, mich öfter zu besuchen. Standfest und Nessel entwickelten sich zum Herzen der neuen Königskordiale, denn das Band zwischen Bruder und Schwester war stark. Zwölf weitere antworteten auf den Ruf, und von diesen zwölf waren vier stark genug, um Mitglieder von Nessels Kordiale zu werden. Acht hatten weniger Talent. Bei diesem ersten Ruf schickten wir niemanden wieder zurück, denn wie Chade uns gegenüber erklärte, brauchte es manchmal seine Zeit, bis sich die Gabe in einem Menschen vollständig manifestierte. Dick und ich versahen unsere Aufgaben weiter als Einzelne, während Chade wie immer Verbindung zu uns allen hielt und die Grenzen unserer Magie auslotete... wobei er sich selbst oft derart in Gefahr brachte, dass er jeden anderen dafür als Tor gescholten hätte.
Als Chivalrics zweiter Sohn geboren wurde, erklärte Molly plötzlich, es sei an der Zeit, dass er und Nelke ihr eigenes Haus bekämen. Sie beschloss, mit Herd und Recht nach Weidenhag zu gehen. Behende entschied sich, bei seinem älteren Bruder zu bleiben, denn der Hof war zu groß für einen Mann allein, und außerdem hatte es ihm schon immer gefallen, mit Pferden zu arbeiten. Molly erzählte mir unter vier Augen, dass diese Entscheidung wohl mehr mit einem bestimmten rothaarigen Mädchen zu tun hatte, der Tochter eines Wagenbauers in der nahegelegenen Stadt.
Wir heirateten in aller Stille vor meinem König und in Anwesenheit von Mollys Kindern sowie Kettricken, Elliania, Chade, Harm und Sieber. Chade weinte, umarmte mich dann wild und sagte, er sei ja so glücklich. Harm fragte Nessel, ob er seine neue Schwester küssen dürfe, und erntete dafür einen heftigen Schlag auf den Hinterkopf von einem fürsorglichen Herd. Dick und der kleine Prinz Gedeih schliefen fast die ganze Zeremonie hindurch.
Anschließend reisten wir zu Philia, die die Reise nicht hatte machen können, um Blumen auf Litzeis Grab zu legen. Wir blieben einen Monat dort, und ich glaubte schon, Herd und Recht würden Philia mit ihren Streichen und ihrer Neugier erschöpfen. Doch zwei Tage vor unserer geplanten Abreise verkundete Philia plötzlich, dass sie Fierant leid und zu alt sei, das Gut zu führen, deshalb würde sie mit uns nach Weidenhag kommen. Zu meiner großen Erleichterung freute sich Molly darüber.
Herd und Recht schienen die Freuden und Absonderlichkeiten zu genießen, die es mit sich brachte, eine solche Großmutter zu haben. Inzwischen hat Herd Molly versprochen, sie für eine weitere Tätowierung erst um Erlaubnis zu fragen, und Recht hat ein derartiges Interesse an Pflanzen und Kräutern entwickelt, dass selbst Philias Wissen an ihre Grenzen stößt. Kaum hatten wir uns in Weidenhag eingerichtet, da tauchte Sieber auf und erklärte, Chade habe ihn zu mir geschickt, um mir als Verwalter zu dienen. Ich vermute, dass er noch immer für die alte Spinne spioniert, aber das ist schon in Ordnung. Ich werde Chade freiwillig alles geben, was er braucht, um weiterhin das Gefühl zu haben, die Welt zu kontrollieren. Viel von seiner Macht habe ich ihm Stück für Stück abgerungen und an Pflichtgetreu weitergegeben, sobald dieser dafür bereit war. Auch wenn ich selbst die Krone der Sechs Provinzen nie getragen habe, so bin ich doch sicher, viel dafür getan zu haben, dass sie unversehrt geblieben ist.
Sieber hat bewiesen, dass er weit mehr von solchen Dingen wie dem Einstellen von Dienern und der Verwaltung eines Gutes versteht, als ich je vermutet hätte. Das ist auch ganz gut so, denn weder Molly noch ich haben je damit gerechnet, uns um solche Dinge kümmern zu müssen, und Philia erklärt immer wieder, sie sei zu alt für so etwas.
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