Die 39 Zeichen 08 - Die Entführung am Himalaya
schlimm. Dass Dans Stimmung dermaßen im Keller war und Amy keine Geduld mehr mit ihm hatte, lag weder an den Langstreckenflügen noch an dem Kater.
Nein, schuld waren die Madrigals!
Nach den vielen Wochen, die sie nun schon unterwegs waren, hatten Amy und Dan endlich das Rätsel gelöst, zu welchem Zweig der Cahill-Familie sie gehörten. Sie waren keine gewieften und schlauen Lucians, Meister der Strategie. Sie gehörten nicht zu den kreativen Künstlern, den Janus, und waren keine körperlich durchtrainierten Tomas, die von Kriegern abstammten. Auch aus den Reihen der genialen Ekaterina, den größten Erfindern, die die Welt je gesehen hatte, kamen sie nicht.
Nein. All die Wochen, in denen Amy und Dan auf der Jagd nach den Zeichen um den Erdball gehetzt waren, waren sie Madrigals gewesen.
Madrigals. Das war wirklich schlimmer als schlimm. Die Madrigals hatten im Zuge einer Attentatsserie, die mehrere Kontinente erfasste, unter anderem die russische Zarenfamilie ermordet. Ihre Werkzeuge waren List, Sabotage, Betrug, Mord und vor allem Terror. Sogar die Lucians fürchteten sich vor den Madrigals – und vor den Lucians hatte wirklich jeder Angst.
Es ist, als habe man sein Leben lang nie in den Spiegel gesehen, dachte Amy. Und plötzlich hat man sein Spiegelbild vor sich und man sieht ein Monster.
Wie konnte es sein, dass sie Madrigals gewesen waren, ohne es zu wissen? Seit ihrer Abreise aus Afrika hatten sie sich diese Frage immer wieder gestellt, hatten sie gebetsmühlenartig wiederholt und gehofft, wenn sie nur oft genug fragten, würde die Antwort die schreckliche Wahrheit noch verändern.
Doch die Madrigals waren so geheimniskrämerisch, dass sie sogar voreinander Geheimnisse hatten. Amys und Dans Großmutter Grace musste ebenfalls eine Madrigal gewesen sein. Nach dem Tod ihrer Eltern war sie die nächste Verwandte für sie gewesen. Doch sie hatte ihnen gegenüber nie ein Wort darüber verloren.
Jetzt ist Grace auch nicht mehr da, dachte Amy traurig. Und Saladin, der Kater, den ihre Großmutter so geliebt hatte, war auch weg.
Dabei hatten sie sich noch nicht einmal an den Gedanken gewöhnt, dass sie Mitglieder der glorreichen Cahill-Familie waren. Die Jagd nach den Zeichen kam ihnen noch immer unwirklich vor – dass ausgerechnet zwei Waisenkinder aus Boston die Chance haben sollten, die mächtigsten Menschen der Geschichte zu werden! Doch die jüngste Erkenntnis schockierte sie noch viel mehr als alles bereits Dagewesene. Auch ihre Eltern mussten Madrigals gewesen sein. Das würde bedeuten, dass sie böse gewesen waren!
Amy hatte in letzter Zeit oft in sich hineingehört, um herauszufinden, was sie tief in ihrem Herzen bewegte. Dort war beileibe nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Da war Wut über die bösen Spielchen, die man auf der Jagd mit ihnen getrieben hatte. Isabel – schon der Name der Mörderin ihrer Eltern entzündete einen solchen Zorn in ihr, dass sie nicht mehr klar denken konnte.
Isabel, die sie als Kind im Arm gehalten hatte. Die »meine Liebe« zu ihr gesagt und ihr die zärtliche Tante vorgespielt hatte.
Isabel, die aus zwei glücklichen Kindern Waisen gemacht hatte …
Rache! Es war keine vernunftgeleitete Überlegung, sondern eine emotionale Woge oder eher ein jaulender Sportmotor, der diesen Gedanken vorantrieb. Das Gefühl war so selbstverständlich, dass es nur vom Madrigal in ihrem Innern stammen konnte.
Wenn man böse ist, kann man das Schlechte dann überhaupt in sich selbst erkennen?
Sie wandte sich ihrem Bruder zu: »Versuch zu schlafen. Die Zeitumstellung wird uns umhauen, wenn wir nach China kommen.«
»Ich habe schon auf dem Flug von Afrika geschlafen«, grummelte Dan.
Das Flugzeug entfernte sich vom Flugsteig und die Stewardessen begannen mit den Sicherheitshinweisen.
»Nach dem Start bieten wir Ihnen folgende Filme zur Unterhaltung an«, war über den Lautsprecher zu hören. »Als erster Spielfilm wird Terminator: Die Erlösung zu sehen sein.«
»Super!« Dan zog die Ohrstöpsel aus der Plastiktüte. »Endlich mal eine gute Nachricht!«
»Zukünftige Generationen werden immer wieder versuchen, deine Gehirnwindungen zu ergründen«, erklärte Amy ernsthaft.
»Glück ist wie ein Ausschlag«, belehrte er sie. »Es breitet sich stetig aus. Vielleicht haben wir jetzt endlich mal eine Glückssträhne.« Dann steckte er sich die Stöpsel in die Ohren. Die 777 schlängelte sich durch den Flughafenverkehr auf dem Rollfeld zur Startbahn, beschleunigte und hob
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