Die 39 Zeichen 08 - Entfuehrung am Himalaya
ab.
Unter ihnen wurde London immer kleiner. Mr Lee klammerte sich an der Armlehne fest. Mit jedem Stoß, der das Flugzeug erschütterte, wurden seine Knöchel ein Stückchen weißer. Amy und Dan dagegen waren mittlerweile erfahrene Vielflieger, die Turbulenzen kaum noch wahrnahmen. In den vergangenen Wochen hatten die beiden Kinder, die die Ostküste der USA nur selten verlassen hatten, mehr als ein Dutzend Länder auf fünf verschiedenen Kontinenten besucht.
Dan stellte die Lehne zurück und konzentrierte sich auf den Bildschirm vor ihm. Als endlich der Film anlief, war jedoch nicht Terminator zu sehen, sondern ein prunkvoller Palast.
»Was um…« Dan zappte durch die Kanäle. Auf jedem erschien der Palast.
»Was ist denn?«, fragte Amy.
»Wo ist der Terminator ?«
Amy schaltete ihren Bildschirm an und betrachtete den Palast. »Den Film kenne ich doch …« Plötzlich entspannte sich ihr Gesicht. »Das ist Der letzte Kaiser. Den habe ich schon zwei- oder dreimal gesehen – mit Grace.«
In ihrer Kehle bildete sich ein Kloß. Im Eifer der Zeichenjagd vergaß sie immer wieder, dass seit Grace Cahills Tod erst zwei Monate vergangen waren.
Grace … Madrigal … Da gab es nichts misszuverstehen. Sie und Dan hatten sogar ihr geheimes Madrigal-Versteck gesehen.
Das ist mir doch egal! Ich liebe sie … ich liebe sie immer noch …
Dan war nicht in der Stimmung für sentimentale Erinnerungen. »Mann, die haben den falschen Film eingelegt!« Er wollte gerade mit dem Rufknopf die Stewardess kommen lassen, als sein Blick auf den Monitor seines allergischen Nachbarn fiel. Da lief der Terminator in all seinem futuristischen Glanz.
Frustriert kletterte Dan auf seinen Sitz, beugte sich über seine Rückenlehne und lugte auf Nellies Monitor auf der Rückseite. Dort sah er, von seinem Blickwinkel aus, einen Robotermenschen auf dem Kopf stehen. »Die bekommen alle den Terminator , nur wir nicht!«
Amy runzelte die Stirn. »Warum sollten die nur an zwei Plätzen etwas anderes zeigen?«
»Das ist eine internationale Verschwörung, um mich zu langweilen«, wetterte ihr Bruder.
In der Flughafenhalle von Heathrow ging es zu wie in einem Bienenstock. Auf dem Rollfeld hielt eine Armee von Mechanikern und Gepäcklogistikern einen der weltweit größten Flughäfen am Laufen.
Mehrere Wartungstechniker gönnten sich gerade im Umkleideraum eine Teepause, als ihnen ein Unbekannter auffiel. Er war älter als die anderen, vielleicht Ende 60. Als er sich aus seinem Blaumann schälte, sahen sie, dass er darunter Hose, Jackett und Pullover aus reinem Kaschmir trug, alles in Schwarz. Eine genauere Nachforschung hätte ergeben, dass sein Dienstausweis gefälscht war. Er arbeitete nicht auf dem Flughafen. Er arbeitete überhaupt nirgends.
Zwar kannte keiner der Angestellten dort den Mann in Schwarz, doch Amy und Dan hätten ihn sofort erkannt. Er war ihnen schließlich schon um den halben Erdball gefolgt.
Zweites Kapitel
Dan fand den Film Der letzte Kaiser mindestens so langweilig wie den zehnstündigen Flug nach Peking.
»Pass lieber auf«, riet ihm Amy. »Das ist eine gute Vorbereitung für unsere Reise nach China.«
»Mhm«, murmelte Dan mit schweren Augenlidern. Der einzige Vorteil daran, dass man ihn um den Terminator betrogen hatte, war, dass er bei diesem miesen Film gut einschlafen konnte.
Er war gerade weggenickt, als Amy ihm plötzlich die Fingernägel in den Arm grub. »Dan!«
»Was ist denn los?« Mit verschwommenem Blick sah er seine Schwester an, die auf den Bildschirm zeigte. »Komm schon, Amy. Ich bin eigentlich eingeschlafen, um dem Letzten Kaiser zu entkommen!«
»Sieh mal!«, sagte Amy beharrlich. »Da, an der Wand!«
Dan blinzelte. In der Szene war der dreijährige Pu Yi zu sehen, Kaiser von China. Er spielte in der Verbotenen Stadt , einem weitläufigen Gelände mit Hunderten von prachtvoll ausgestatteten Palästen, Tempeln und Statuen. Und dort, an der Wand eines kleinen Gebäudes …
»Das Wappen der Janus!«, rief Dan überrascht.
Amy runzelte die Stirn. »Was hat das in Der letzte Kaiser zu suchen?«
»Im Showbusiness sind eine Menge Janus«, erwiderte Dan.
»Vielleicht war der Typ, der den Film gemacht hat, auch einer von ihnen.«
»Vielleicht«, räumte seine Schwester skeptisch ein. »Aber ich bezweifle das. Der letzte Kaiser wurde in den achtziger Jahren gedreht. Die Farbe an der Wand sieht viel älter aus.«
»Aber wer hätte denn sonst …?« Dan machte Stielaugen. »Du meinst der da ?« Er
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